Wolfsfieber
bringt mich schon nicht um. Ich bin
zäher als ich vielleicht aussehe“, deklarierte ich förmlich.
„Joe!“, ermahnte er mich. Jetzt hatte er wieder diesen Ton
der Schuld in seiner Stimme.
„Wir müssen aufhören! Wir versuchen es in ein paar Ta-
gen, wenn wir Neumond haben. Dann sinkt meine Körper-
temperatur auf unter 38 Grad Celsius“, erklärte er mir.
Ich wollte nicht so lange warten. Sah er denn nicht, spür-
te er denn nicht, dass ich nicht das Geringste gegen ein we-
nig Fieber einzuwenden hatte?
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„Ich mag deine Wärme“, gab ich ihm zu verstehen und
legte dabei meine rechte Hand auf seine Brust. Er legte sei-
ne Hand darauf und schloss die Augen. Nach einem langen
Seufzer gestand er mir.
„Ich kann nicht so mit dir zusammen sein, wie ich es
möchte, wenn ich mir dabei ständig Sorgen machen muss,
dass du deswegen zwei Wochen lang mit Fieber im Bett
liegst.“
Seine grünen Augen funkelten bei jedem Wort voller auf-
richtiger Sorge, die mich ganz verlegen machte.
„Ja, du hast recht. In unserer ersten Nacht sollst du dich
ganz fallen lassen können und ich will nicht, dass du dir Sor-
gen machst. Wir warten auf den Neumond.“
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13. Neumondnächte
Warten. Eine kaum zu bewältigende Aufgabe für jemanden,
der nicht besonders viel Geduld besitzt. Und drei volle Tage
schienen einfach zu lange zu sein. Aber die Abmachung
stand. Ich lenkte mich ab, mit Arbeit, mit Schreiben. Es half
alles nichts. Das Einzige, woran ich denken konnte, war die
herannahende Neumondnacht und all das Neue und Unbe-
kannte, was sie mit sich bringen würde.
Doch auch wenn es mir schwerfiel, es mir einzugestehen,
mit jedem weiteren Tag hatte ich eine bisschen mehr Angst.
Es ging schließlich nicht um irgendeine Nacht mit irgend-
einem Mann. Es war eine Nacht mit Istvan, einem ganz be-
sonderen Mann, besonders in so ziemlich jeder Hinsicht.
Es gab viel zu beachten, viel zu fürchten wie zu erwarten.
Ich konnte mir nicht vorstellen, was erlaubt sein, was er mir
gestatten würde. Beim letzten Versuch, wenn man es einen
Versuch nennen konnte, hatte er mich zurückgewiesen. Aus
Rücksicht zwar, aber es war dennoch eine Zurückweisung.
Mir hätte es nicht das Geringste ausgemacht, ein paar Tage
mit Fieber im Bett zu liegen, wenn der Grund dafür Ist-
vans Bettgesellschaft gewesen wäre. Aber wie sollte ich die
Nerven behalten, wenn es tatsächlich dazu kommen sollte?
Schon bei dem Gedanken daran stieg in mir wilde, kaum
zähmbare Nervosität auf, die sich mit schwindelnder, zittri-
ger Aufregung mischte. Wie sollte ich in Istvans Nähe weiter
atmen? Wie sollte mein Herz nicht meinen Brustkorb spren-
gen, würde er mich vollkommen nackt berühren? Wie?
Die Tatsache, volle drei Nächte zur Verfügung zu haben,
in denen man nichts anderes tun konnte, als schlaflos zu
grübeln und mich immer weiter in Rage zu denken und so-
gar zu träumen, war zermürbend. Es half auch wenig, dass
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wir verabredet hatten, die letzten beiden Tage und Nächte
vonei nander getrennt zu verbringen, um es uns leichter zu
machen. „Das Gefahrenpotenzial minimieren“, nannte Ist-
van es. Ich nannte es beim Namen – Folter.
Von quälender Natur waren vor allem meine Träume. Es
blitzten Bilder eines jagenden Wolfes darin ebenso auf wie
Bilder eines zärtlichen und eines ungestümen Istvan, die grü-
nen Augen immer über mir, immer auf mir. Wir belauerten
uns gegenseitig wie zwei Tiere, unschlüssig darüber, ob wir
uns ineinander verschlingen oder einander verzehren soll-
ten. Es gab auch andere Träume, weit gefährlichere. Träume
eines Istvans, der von mir wegging, der mich unverwandt an-
sah, als bedeutete ich ihm gar nichts. Als ich aufgewacht war,
schämte ich mich für meine Träume. Aber ich sagte mir, dass
auch das Begierde sei und diese Träume erst verschwinden
würden, wenn ich das Feuer löschte, das lichterloh in mir
brannte. Nur, Istvan war kein kühler Ozean, er war ein Flam-
menmeer, das Feuer selbst. Wie sollte ich verhindern, darin
zu verbrennen, dass wir beide daran verbrannten? Doch im
Grunde meiner Seele wollte ich es. Ich wollte brennen. Zu-
sammen mit ihm. Mit Istvan wollte ich zur Flamme werden
und ich würde irgendwie den Mut dazu finden, ohne Angst
ins Feuer zu gehen.
Der letzte Tag war gekommen. Ich hatte wieder einmal unru-
hig geschlafen. Mittlerweile zählte ich sogar schon die Stun-
den, fast wie ein Kind an Heilig Abend kurz vor der
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