Wolfsfieber
führe er etwas im Schilde.
„Dann müssen wir uns wohl in der Mitte treffen, wenn es
ums Tanzen geht“, verkündete er mir.
„Tanzen?“
„Ja, genau. Und ich werde kein Nein gelten lassen“, sagte
er ernst mit hoch gezogener Augenbraue.
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„Na gut, wenn das so ist – ich ergebe mich!“, tönte ich
pathetisch und hob die Hände hoch, als würde ich mich der
Polizei stellen.
Er verließ amüsiert den Raum und kam nach ein paar Mi-
nuten mit ein paar alten, abgegriffenen Platten wieder. Alles
Jazz- und Swingplatten. Istvan hielt sie mir vor die Nase und
wollte, dass ich eine davon auswählte.
„Ich lasse mich gerne überraschen.“
Er drehte mir den Rücken zu und legte eine der Schall-
platten auf den Plattenteller. Ganz plötzlich stand Istvan
dann mitten im Zimmer, mit ausgestreckten Armen ahmte
er einen Tänzer nach, der in Position geht und nur noch auf
seine Partnerin wartet. Ich wurde nervös und dachte, es wäre
vielleicht besser, ihm vorher von meinem kleinen „Tanzprob-
lem“ zu erzählen:
„Ich warne dich lieber vor. Ich neige dazu, öfter mal die
Führung zu übernehmen.“
„Damit komme ich klar“, versicherte er mir mit zwei-
deutigem Tonfall und führte währenddessen meine Arme
in die richtige Position. Sobald ich vor ihm stand, fiel die
Nervosität von mir ab. Der Plattenspieler knackte und die
Nadel machte die letzte Runde auf einer leeren Spur, bevor
sie mit einem weiteren Knacks begann, die Melodie abzu-
lesen. Schon nach den ersten beiden Takten erkannte ich
den Song: Heaven – dancing cheek to cheek.
Istvan hatte gut gewählt. Ich mochte den alten Song wirk-
lich sehr.
Wir bewegten uns ganz langsam zur Musik, wobei er im-
mer wieder kleine, präzise Tanzschritte vollführte, die ich
leicht zögerlich wiederholte.
Es war ein kleines Wunder. Ich ließ ihn tatsächlich füh-
ren.
Als das Lied zur Stelle mit dem Refrain kam, legte er sei-
ne Wange an meine und sang flüsternd die passenden Lied-
zeilen dazu.
„… Now were dancing cheek to cheek …“
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Meine Wange glühte.
So tanzten wir zwei oder drei Nummern lang. Ich hatte
bis dahin eigentlich nicht viel für fürs Tanzen übrig gehabt,
zumindest nicht für Gesellschaftstanz. Aber das hier war ein-
fach nur himmlisch: „Heaven, I’m in heaven“, sang ich leise.
Als die letzte Nummer der Plattenseite gespielt war, stan-
den wir noch eine ganze Weile in Tanzhaltung da. Wie zwei
Statuen. Es war schwer, sich aus dieser Position zu zwingen,
aber das Brummen meines Handys holte mich wieder auf
den Boden zurück. Ich löste mich aus seiner Umarmung,
ging zum Schreibtisch zurück und nahm den Anruf an.
Es war mein Redakteur vom Online-Musikmagazin. Er klang
aufgeregt. Er hatte sich mit den Deadlines verzettelt und
brauchte zwei meiner drei Besprechungen bis heute Abend
und nicht bis morgen. Ich versicherte ihm, dass es kein Prob-
lem für mich sei, rechtzeitig fertig zu werden. Er bedankte
sich und legte abrupt auf. Istvan hatte natürlich die ganze
Zeit mitgehört und wusste genau Bescheid.
„Alles klar. Ich werde besser gehen, damit du in Ruhe fer-
tig werden kannst. Am besten spaziere ich runter zur Biblio-
thek und sortiere die zurückgegebenen Bücher. Das dauert
vielleicht eine Stunde. Reicht dir das?“, fragt er mich.
„Ja, in ein oder zwei Stunden bin ich bestimmt fertig“,
stellte ich klar.
Er schnappte sich seine braune Jacke und war sofort aus
der Tür. Und sobald er aus dem Zimmer war, flossen die
Worte nur so aus mir raus. Ich brauchte nicht mal das ganze
Album durchzuhören. Sofort hatte ich die passende Bemer-
kung parat. Ich bemühte mich, so schnell wie möglich fertig
zu werden, damit ich mich ganz ihm widmen könnte, sobald
er wiederkommen würde.
Der Schuss ging nach hinten los. Ich war nach einer knappen
Stunde bereits fertig und hatte meine Texte schon gesen-
det, doch er war noch nicht zurück. Die Minuten vergingen
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schleppend und er würde mir natürlich die vollen zwei Stun-
den geben, die ich verlangt hatte. Verdammt. Jetzt hieß es
warten. Wie ich das hasste und ich war darin ganz schlecht.
Schon nach zehn Minuten langweilte ich mich und ich be-
gann erneut, in seinen Sachen zu kramen. Ich ermahnte
mich nochmals, nicht so neugierig zu sein, und setzte mich
geistesabwesend ans Fenster. Es wurde bereits dunkel und
es hatte begonnen zu nieseln. Ich war so gefangen vom An-
blick der verregneten Dämmerung, dass
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