Wolfsflüstern (German Edition)
weit hergeholt«, presste sie hervor. »Aber zwei? Jetzt mach mal halblang.«
»Hieroglyphen sind schwer zu interpretieren. Dienen die Farben zum Beispiel nur dekorativen Zwecken oder sollen sie dem, was die Symbole darstellen, eine zusätzliche Bedeutung verleihen? Steht eine andere Farbe für eine andere Richtung? Für Tag oder für Nacht? Für männlich oder weiblich? Für eine bestimmte Verbindung zu der Hieroglyphe rechts oder links?«
Gina zuckte die Achseln.
»Exakt«, sagte Matt. »Vielleicht ja, vielleicht auch nicht. Ja auf dieser Seite und nein auf jener. Es kann einen wahnsinnig machen. Am Ende interpretierte meine Mutter die Lage des Superkrieger-Grabs auf sechs unterschiedliche Arten. An fünf der Orte haben wir gegraben. Ohne etwas zu finden.« Er guckte sie an. »Die sechste Übersetzung lautet: Dort, wo der Baum des Lebens einem Land entspringt, das mit dem Blut der Sonne getränkt ist. «
Gina schloss die Augen.
»Ich weiß nicht, ob ich ihn je aufgespürt hätte, wäre da nicht das …«
»Verdammte Foto gewesen.« Sie öffnete sie wieder.
Teo hielt ihren Blick fest. »Ich kann nicht aufgeben, ehe ich nicht jede Möglichkeit auf dieser Liste überprüft habe.«
Gina musste ihn unbedingt vom Gegenteil überzeugen. Dieses Terrain war unheilvoll. Verflucht. Vom Bösen bewohnt. Gefährlich. Leider schien Teo ebenso davon besessen zu sein, wie sie es einst gewesen war. Trotzdem musste sie es versuchen.
»Das ist nicht der Ort, den du suchst.« Ginas Lippen fühlten sich so starr an, dass es ihr schwerfiel, die Worte zu artikulieren.
»Woher willst du das wissen?«
»Falls die Azteken wirklich nach Colorado gekommen sind und von den Ute geschlagen wurden, würden weise Männer diese Geschichte bis in alle Ewigkeit am Lagerfeuer erzählen. Ich habe sie nie gehört. Nicht ein einziges Mal.«
Das entsprach der Wahrheit. Andererseits hätte die Verbreitung einer solchen Legende mehr Menschen dorthin gelockt anstatt weniger. Die Ute waren nicht dumm.
»Ich kann nicht einfach aufgeben«, beharrte Matt. »Meine Mutter weihte ihr ganzes Leben der Suche nach diesem Grab. Sie wurde …« Er atmete tief ein und in einem einzigen Schwall wieder aus. »Zur Lachnummer in wissenschaftlichen Kreisen. «
»Warum?«
Teo sah Gina in die Augen. »Nora glaubte fest an den Zauberer. Sie wollte sich einfach nicht bekehren lassen.«
»Und jetzt willst du dich nicht bekehren lassen.«
»Ich kann nicht.« Teo ließ Kopf und Schultern hängen. »Ich habe zu ihr gesagt, dass sie endlich erwachsen werden soll. Dass sie mich blamieren und in einer Fantasiewelt leben würde.«
»Du warst noch ein Junge.«
»Wir hatten meine gesamte Kindheit nach diesem Grab gefahndet. Die Suche war aufregend, faszinierend.« Er holte wieder Luft. »Aber ich stand kurz vor dem College. Ich wusste, dass die Leute mich auslachen würden, sobald sie meinen Namen hörten. Ich wollte, dass sie das Unterfangen aufgab. Oder zumindest aufhörte, von Magie zu reden.«
»Aber das hat sie nicht?«
»Natürlich nicht. Nora wusste, woran sie glaubte, und früher hatte ich auch daran geglaubt. Ich habe mich geweigert, sie zu dieser letzten Grabung zu begleiten. Und dann ist sie gestorben.«
»Meinst du, sie hätte sich den Kopf nicht angeschlagen, wenn du dabei gewesen wärst?«
»Vielleicht wäre sie nicht so unkonzentriert wegen meiner Abwesenheit gewesen oder so wild entschlossen, mir zu beweisen, dass ich mich irrte, sodass sie besser aufgepasst hätte, wohin sie lief, anstatt einfach in die Dunkelheit zu rennen.«
»Das kannst du nicht wissen.«
»Hier drinnen?« Er tippte an seinen Kopf. »Eventuell nicht. Aber hier?« Er klopfte auf sein Herz. »Tut es weh.«
Eine Sekunde empfand Gina Mitleid mit ihm, bis sie sich erinnerte, dass er, nur um sein schlechtes Gewissen zu lindern, eine Grabung an einem Ort durchführen wollte, der unbedingt ungestört bleiben musste.
»Ich bin inzwischen selbst eine Lachnummer«, gestand er, seine raue Stimme noch rauer vom vielen Reden.
»Ich dachte, du glaubst nicht an Magie oder den Zauberer.«
»Das tue ich auch nicht. Allerdings bin ich überzeugt, dass dieses Grab existiert, und zwar irgendwo nördlich der Grenze. Das wäre an und für sich schon ein sensationeller Fund, der viel dazu beitragen würde, der Arbeit meiner Mutter Geltung zu verschaffen. Sie verdient es, dass man ihren Namen mit Respekt behandelt. Denn die Azteken waren hier. Das wusste ich, sobald ich dieses Foto sah.«
Der Teufel
Weitere Kostenlose Bücher