Wolfsflüstern (German Edition)
bisschen Glück würde das bis zum Morgen auch so bleiben.
Allerdings gab es keine Garantie für irgendetwas.
Würden die Werwölfe weiter im Hof ausharren und jeden daran hindern, das Haus zu verlassen? Aber trieben Werwölfe nicht ausschließlich im Dunkeln ihr Unwesen? Gina hoffte es inständig. Hier drinnen gefangen zu sein, mit nur einem einzigen Gewehr voller Silberpatronen zum Schutz, wäre eine üble Sache.
Vor ihrem Zimmer blieb sie stehen. Woher hatte Isaac die Silberkugeln überhaupt? Sie bezweifelte, dass der ortsansässige Schmied sie verkaufte.
Vielleicht hatte Isaac sie selbst angefertigt. Er war ziemlich geschickt mit seinen Händen. Wann immer in der Sattelkammer etwas kaputtging, war er derjenige, der es reparierte. Und in diesem Fall …
Gina betrat ihr Zimmer, ohne sich damit aufzuhalten, das Licht anzuknipsen. Der sinkende Mond wurde von dem Panoramafenster an der gegenüberliegenden Wand eingerahmt. Alles sah aus wie mit Zinn übergossen.
Gina besaß eine Menge Silberschmuck. Immerhin war dies der Südwesten. Ein Teil davon stammte von ihrer Mutter, aber …
Sie öffnete den Deckel ihrer Schmuckschatulle. Diese Stücke würde sie bis zuletzt aufheben.
Im Inneren befand sich ein Haufen Zeug, das sie niemals trug. Dinge, die glitzerten, das Licht einfingen, klimperten – Ohrringe, Armreife, sogar Halsketten –, konnten ein Pferd erschrecken.
Gina inspizierte das Sammelsurium. Wenn Isaac es einschmolz, könnte er daraus ein paar Kugeln fabrizieren, wenn auch wahrscheinlich nicht genügend, als dass sich der Aufwand lohnte.
Sie schlug den Deckel zu und wandte sich zur Tür um.
Irgendjemand stand dort in der Dunkelheit, hielt sich gerade so außer Reichweite der Mondstrahlen und beobachtete sie.
»Ich habe keine Ahnung, wie er rausgekommen ist«, sagte Isaac gerade.
Wer immer am anderen Ende war, erwiderte etwas. Matt wollte Isaac schon bitten, die Freisprecheinrichtung anzuschalten, als er erkannte, dass der Apparat fast so veraltet war wie ein Wählscheiben-Telefon.
»Ich gebe dir mal den Mann, der dabei war, als es passiert ist«, fuhr Isaac fort. »Er ist irgendein Azteken-Experte.« Er hielt Matt den Hörer hin. »Ich möchte die Wölfe weiter im Auge behalten.«
»Wer ist dran?«, fragte Matt.
»Sein Name ist Edward Mandenauer. Wir kennen uns aus dem Krieg.«
Matt runzelte die Stirn. »Aus dem Krieg?«
»Dem Zweiten Weltkrieg. Ich war in Deutschland viel auf Spähtrupp.« Isaac lächelte ironisch. »Sie haben immer die Rothäute auf Spähtrupp geschickt.« Er hob den Hörer ein Stück höher. »Ich bin Mandenauer im Schwarzwald über den Weg gelaufen. Er war irgendeine Art Doppelagent.«
»Ein Spion?« Matt war verwirrt. Inwiefern sollte ihnen das helfen?
Isaac drückte Matt den Hörer in die Hand. »Edward hat sein ganzes Leben mit der Erforschung uralter übersinnlicher Legenden verbracht. Erzählen Sie ihm, was Sie gesehen haben, was Sie wissen. Ich muss zurück ins Wohnzimmer.«
Matt hielt den Hörer an sein Ohr, aber noch ehe er sich vorstellen konnte, forderte Edward Mandenauer, dessen Akzent nach all den Jahren noch immer unüberhörbar deutsch war, ihn barsch auf: »Berichten Sie mir alles.«
Also berichtete Matt ihm – fast – alles. Er ließ nur die Teile aus, die zu verrückt waren, als dass man sie in Worte hätte fassen können. Noch im gleichen Moment, als er Nahual sagte, unterbrach ihn der alte Mann. »Ah! Das ist ein Ausdruck, den ich kenne.«
»Ein aztekischer Schutzengel in Tiergestalt. Vergleichbar mit dem Tiergeist der indianischen Ureinwohner.«
»Nicht ganz. Die mir bekannten Geschichten über den Nahual handeln von einem Wesen, das man als lo que es mi vestidura o piel bezeichnet.«
»›Etwas, das mein Gewand oder meine Haut ist‹«, übersetzte Matt. »Mir ist dieses Synonym für die Nahualli, die Beschützer von Tezcatlipoca, dem Aztekengott des Krieges und der Blutopfer, erst kürzlich untergekommen.«
Blutopfer. Krieg. Die Haut wie ein Gewand wechseln. Alle diese Legenden kreisten um ein und dieselbe Sache. Ob man es nun als Tangwaci Cin-au’-ao, als Superkrieger oder als Nahual bezeichnen wollte, jede der Sagen beschrieb exakt das, womit sie es hier zu tun hatten.
»Die beiden Wesen sind einander so ähnlich wie die Namen, die man ihnen gegeben hat«, erklärte Mandenauer. »Die Nahualli sind Beschützer des Gottes, der Nahual ist ein gottgleiches Wesen.«
»Gottgleich?«, echote Matt.
»Was sollten die alten Völker, wenn sie
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