Wolfsflüstern (German Edition)
Kreatur hinter der Tür einsperrte. Anschließend schütteten die Ute die Höhle mit Erde zu und warnten jeden davor, dass der Ort verflucht sei. Es dauerte nicht lange, bis der Tod ihre Lüge zur Wahrheit machte.«
»Was soll das heißen?«, hakte Gina nach.
»Menschen starben dort.«
»Voilà«, murmelte Matt. »Der Ort ist verflucht.«
»Aber warum starben dort Menschen?« Ginas Stimme bebte.
Matt legte die Hand auf ihre. Draußen ließ einer der Wölfe – er tippte auf Ashleigh – ein Jaulen hören. Er ignorierte es, zusammen mit McCord, dessen hasserfüllter Blick durchdringend genug war, um ein Loch in Matts Stirn zu fräsen.
»Der Tangwaci Cin-au’-ao wurde begraben, doch seine Stimme verstummte nie. Man hört seine Rufe im Wind und in den Bergen.«
Ginas Hand zuckte unter Matts. Er warf ihr einen besorgten Blick zu, doch ihre Aufmerksamkeit galt weiter Isaac.
»Sie sagen also, dass das Heulen der Nicht-Wölfe vom Tangwaci Cin-au’-ao erzeugt wurde?«, fragte Matt.
»Er rief Menschen zu sich. Da er Nahua war, machte ihn jeder Tod stärker und erhielt das Wispern seiner Stimme im Wind am Leben.« Isaac schüttelte den Kopf. »Diese Art Macht ist schwer zu bezähmen.«
»Darum haben Sie das Gerücht gestreut, der Ort sei verflucht.«
»Das ist er«, entgegnete Isaac. »Aber Sie haben recht. Je weniger Menschen sich dorthin begeben, desto geringer die Chance, dass sie mit ihrem Tod die Bestie füttern.«
»Wie ist es dem Schamanen gelungen, ihn einzusperren?«
»Indem er die Bildersprache erlernte und sie gegen ihn verwendete.«
Das Begreifen durchzuckte Matt wie ein Blitz. »Die Hieroglyphen an der Wand wurden nicht von den Azteken, sondern von diesem Ute-Schamanen angefertigt.« Was erklärte, warum sie irgendwie seltsam wirkten.
»Dieser Mann-Hund an der Wand …« Gina legte den Kopf zur Seite. »Und der im Notizbuch deiner Mutter. Beide wirkten viel zu böse, um Loyalität zu symbolisieren. Aber was, wenn ihre eigentliche Bedeutung …« Sie wandte den Blick zum Fenster und deutete mit dem Kinn auf den geduldig wartenden Halbkreis von Wölfen.
Was, wenn die Zeichnungen gar keine Hunde darstellten, sondern Wölfe? Und die Kombination von Mann und Hund keinen loyalen Menschen symbolisierte, sondern einen Mann-Wolf und damit exakt das, als was die Ute ihn bezeichnet hatten?
Warum hatte Matt das nicht schon früher erkannt? Allerdings musste er zu seiner Verteidigung sagen, dass er diese Geschichte jetzt zum ersten Mal hörte.
»Es waren überlebensgroße Männer«, sinnierte er. »Beide Zauberer. Trotzdem steht die Größe der Hieroglyphe für Macht, nicht für Körperwuchs. Der eine war ein Gestaltwandler, der andere …« Er schloss die Augen und projizierte die zweite Hieroglyphe auf die dunkle Leinwand seines Bewusstseins. »Ein Magier.« Er öffnete die Augen und schaute Gina an. »Das ist es, was die Sterne, die aus seinen Fingern schießen, bedeuten. Aber …« Matt runzelte die Stirn, als sich das nächste Rätsel auftat. »Was ist mit den Pferden, die wie Hunde aussehen und Sterne um ihre Hufe haben?«
»Magische Hunde«, erklärte Isaac. »So nannten die Ute Pferde.«
Magische Hunde . Das gefiel Matt. Für ihn hatte immer eine gewisse Poesie darin gelegen, wie die Menschen in längst vergangenen Zeiten gesprochen hatten.
»Die Ute haben das Geschehen auf der Wand festgehalten«, folgerte Gina. »Aber wie konnten sie dadurch ein Monster einsperren?«
»Worte besitzen Macht«, antwortete Isaac. »Worte lösen Kriege aus, Worte beenden sie. Sie erschaffen und zerstören Familien. Sie brechen Herzen. Sie heilen sie. Wenn man die richtigen Worte hat, gibt es nichts auf der Welt, was man nicht tun könnte.«
Als Gelehrter musste Matt ihm zustimmen. Als Wissenschaftler brauchte er mehr Information.
»Wenn Worte ihn gefangen hielten«, sagte er, »wie konnte er sich dann befreien?«
»Die Geschichte endet mit der Gefangenschaft des Tangwaci Cin-au’-ao in der Grabkammer. Ich habe nie davon gehört, dass er sich befreien konnte.«
Was auf lange Sicht vermutlich ein kluger Schachzug der Ute war. Wenn es keine Formel für eine Befreiung des Monsters gab, würde sich diese ziemlich schwierig gestalten.
Theoretisch.
Die meisten Experten hätten die Mann-Wolf-Hieroglyphe nicht als Nahual erkannt und damit die Kreatur nicht freisetzen können. Nur Gina, die gleichzeitig zu viel und zu wenig gewusst hatte, konnte das getan haben.
Es war sehr schlau von dem Schamanen gewesen, die
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