Wolfsglut - Handeland, L: Wolfsglut
hatte recht. Ich hatte nicht die leiseste Vorstellung, was gerade mit mir geschah. Das Virus könnte mutieren, und dann wäre alles, was ich wusste oder zu wissen glaubte, falsch.
„Vergiss es einfach“, sagte ich. „Ich werd’s überleben.“
„Ich bin kein Trottel. Ich schneide mich schon nicht. Abgesehen davon hast du ja dieses praktische Gegengift. Falls ich mich infiziere, kannst du mich einfach heilen.“
Könnte ich das? Ich war nicht mehr im Besitz der Formel, und sie war nicht so simpel, als dass ich sie einfach aus dem Gedächtnis hätte rekapitulieren können. Keine von ihnen war das.
Ich hatte nichts mehr von Edward gehört, seit er die Stadt verlassen hatte. Langsam begann ich, mir Sorgen zu machen. Falls er zusammen mit allem, was ich entwickelt hatte, verschwinden sollte, wäre ich und mit mir die ganze Welt in ernsthaften Schwierigkeiten.
Nic stach mich.
„Au!“
„Halt still, sonst hast du anschließend noch mehr Wunden als ohnehin schon.“ Er unterstrich seine Worte mit einem weiteren Pieken. „Ich hab sie gleich.“
Ich starrte die Badkacheln an, während ich darauf wartete, dass er fertig wurde. Drei Minuten später fiel etwas in die Wanne, dann rollte es zum Ablauf und blieb auf dem Metallstöpsel liegen.
Nic hob die Kugel hoch. „Es verblüfft mich immer wieder, wie etwas so Kleines so viel Schaden anrichten kann.“
Er hob den Blick, und ich entdeckte eine Vielzahl widerstreitender Emotionen in seinen Augen: Erleichterung, Zorn, Misstrauen, Angst und noch etwas anderes, das ich nicht genau identifizieren konnte, bevor er sich erneut abwandte, die Instrumente ins Waschbecken warf und sie ein weiteres Mal mit Alkohol desinfizierte.
„Du solltest lieber eine Dusche nehmen.“
Seine Stimme war wieder so unterkühlt, dass ich mich fragte, ob ich die sanfteren Regungen wirklich in seinem Gesicht gesehen hatte, oder ob sie nur Einbildung gewesen waren.
Ich drehte das Wasser auf. Selbst wenn Nic darüber hinwegsehen könnte, dass ich ein Werwolf war, gab es an mir so viele andere Dinge, die er nicht wusste und auch nie erfahren durfte.
„Die Haut über der Wunde heilt bereits“, bemerkte er.
Ich konnte sie nicht sehen und verspürte auch nicht die geringste Lust dazu. Ich zog den Duschvorhang vor und ließ das warme Wasser das Blut von meinem Körper spülen. Wenn ich doch auch nur das Blut von meinen Hände n – oder sollte ich besser Pfoten sagen ? – waschen könnte.
„Stört es dich, wenn ich hierbleibe, während du mir erklärst, was da vor sich geht?“, fragte er.
„Kein Problem.“ Ich steckte den Kopf unter den Duschstrahl.
„Wer hat dich angerufen?“
„Ich dachte, es wäre Edward.“
Inzwischen war ich mir da nicht mehr so sicher.
„Hat er deine Forschungsunterlagen?“
„Das hoffte ich.“
„Ist es schlimm, dass du im Moment nicht an sie rankommst?“
„Du hast ja keine Ahnung.“ Ich schamponierte mein Haar von den Wurzeln bis zu den Spitzen. „Mir fehlt nicht nur die Formel für das Gegengift, sondern auch die spezielle für mich.“
Nic riss den Duschvorhang zurück. „Was genau passiert, wenn du deine Medizin nicht nimmst? Ich dachte, du wärst anders als die anderen.“
„Das bin ich auch.“ Ich zog an dem Plastik. „Erlaubst du?“
Er sah mich mürrisch an, trotzdem schob er den Vorhang an den klimpernden Metallringen wieder nach vorn, und ich begann, mein Haar auszuspülen.
„Werwölfe können nicht anders, als sich bei Vollmond zu verwandeln“, erklärte ich. „Man kommt gegen den hypnotischen Sog nicht an. Ich habe versucht, die Transformation zu verhindern, aber es ist mir nie gelungen.“
„Wenn du dich also auch verwandeln musst, in welcher Hinsicht bist du dann anders?“
„Ich war nie vom Bösen besesse n – das, was wir den ‚Dämon‘ nennen. Menschen zu töten hat mich immer schon krank gemacht.“
Nic war noch nie schwer von Begriff gewesen. Er hörte heraus, was ich nicht aussprach. „Du hast zwar nicht gern getötet, es aber trotzdem getan.“
„Die erste Verwandlung ist Angst einflößend, unerträglich.“
Die Macht ist berauschend.
Die Worte wisperten durch mein Gehirn. War das mein eigener Gedanke oder der von jemand anderem gewesen?
Von jemand anderem?
Ich musste zu viel Blut verloren haben.
„DerHunger“,flüsterteich.„Ichkannihnnichtbeschreiben.“
Die Qualen in meinem Bauch, das Rasen meines Pulses, das Kreischen in meinem Kopf. Obwohl ich von dampfender Hitze umgeben war, fröstelte
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