Wolfsherz
überrascht, was man ihm wohl auch ansah, denn der Ladenbesitzer fügte mit einem angedeuteten Achselzucken hinzu: »Sie müssen schon entschuldigen. Aber hier kommen andauernd Leute rein, die Geld wechseln wollen. Manchmal platzt einem einfach der Kragen.«
»Schon gut.« Stefan steckte Zigaretten, Feuerzeug und das Wechselgeld ein, behielt aber zwei Fünfer in der linken Hand. Während er dies tat, fuhr der Mann hinter der Kasse fort: »Der Bursche da draußen - gehört er zu Ihnen?«
»Wie kommen Sie darauf?« Stefan sah nun doch zum Fenster zurück, aber da war niemand mehr.
»Nur so. Ich hatte das Gefühl, daß er Sie anstarrt. In letzter Zeit treibt sich hier eine Menge Gesindel herum, wissen Sie?«
Stefan zuckte zur Antwort mit den Schultern, ging zur Tür und zögerte noch einen Moment. Der Fremde war verschwunden, obwohl er ihn nur einige Sekunden aus den Augen gelassen hatte. Er verscheuchte den Gedanken. Ein Zufall, mehr nicht.
Grußlos verließ er den Kiosk, wandte sich nach rechts und ging mit schnellen Schritten auf das Parkhaus zu. Plötzlich fiel ihm wieder auf, wie still es in der schmalen Seitenstraße war. Niemand war zu sehen, und selbst die Geräusche der Stadt schienen plötzlich verstummt zu sein, obwohl er sich praktisch im Herzen einer der größten Städte Europas aufhielt. Und zugleich hatte er das Gefühl, angestarrt zu werden. Nein, nicht angestarrt...
belauert.
Das war ein Unterschied. Stefan hätte ihn nicht in Worte fassen können, aber es
war
ein Unterschied.
Zum wiederholten Mal versuchte er sich damit zu beruhigen, daß es sich das alles nur einbildete. Er war übernervös, er war übermüdet, und er war alles andere als guter Laune - nicht unbedingt die besten Voraussetzungen, um eine Situation kühl und mit der notwendigen Distanz zu beurteilen.
Es funktionierte nicht.
Das unheimliche Gefühl blieb. Es schien sogar noch stärker zu werden, als hätte er mit seinen Bemühungen, sich selbst zu beruhigen, das genaue Gegenteil erreicht.
Kurz, bevor er das Parkhaus betrat, blieb er noch einmal stehen und drehte sich um.
Die Straße lag noch immer wie ausgestorben vor ihm. Der Mann, der gerade vor dem Schaufenster gestanden hatte, war verschwunden, obwohl die Zeit auf keinen Fall ausgereicht hätte, um das jenseitige Ende der Straße zu erreichen. Er mußte in einem der benachbarten Gebäude verschwunden sein.
Oder im Parkhaus...
Vielleicht war dieser Gedanke nicht besonders klug. Stefan spürte, wie sein Herz schon wieder heftig klopfte. Die Münzen in seiner Hand fühlten sich plötzlich eisig an und zentnerschwer, und für eine kurze Zeitspanne überlegte er ernsthaft, kehrtzumachen und später zurückzukommen. Er konnte einfach eine halbe Stunde Spazierengehen und darauf bauen, daß seinem Verfolger die Zeit zu lang wurde und er aufgab, oder auch vorne an der Ecke warten, bis irgendein anderer Autofahrer kam, um seinen Wagen aus dem Parkhaus zu holen, oder -
-
oder die Polizei rufen, um sich zu seinem Wagen auf dem untersten Parkdeck eskortieren zu lassen?
Das war lächerlich. Er war dabei, sich vor sich selbst zum Narren zu machen, und er mußte aufpassen, dies nicht auch noch vor dem Rest der Welt zu tun. Hier war niemand, der ihn beobachtete. Und hier war erst recht niemand, der ihn verfolgte. Basta.
Trotzdem kostete es ihn Überwindung, weiterzugehen und den schattigen Eingangsbereich des Parkhauses zu betreten, in dem die Kassenautomaten standen.
Schattig
war nicht einmal das richtige Wort. Es war dunkel. Dunkler, als es sein sollte, und spürbar kälter. In der Luft lag ein seltsamer Geruch: das Benzin-, Öl-und Metallaroma des Parkhauses, aber auch noch etwas. Etwas...
Wildes, Fremdes.
Er glaubte Schnee zu riechen.
Natürlich war nichts von alledem real. Es
war
hier drinnen dunkler, weil das Parkhaus keine Fenster hatte und sich das Tageslicht schon auf halber Strecke zu den Automaten verlor, und der unangenehme Geruch stammte vermutlich von Urin, den irgendeiner seiner Geschlechtsgenossen in einer Ecke hinterlassen hatte, weil ihm der Weg zur nächsten öffentlichen Toilette zu weit war. Alles andere entsprang nur seiner eigenen Einbildung.
Aber das war nur die eine Seite. Die
logische.
Plötzlich schien die Wirklichkeit nicht mehr so klar und deutlich abgegrenzt zu sein, wie sie es sollte, als hätte er nicht bloß ein Parkhaus betreten, sondern einen Schritt in eine andere, verwunschene Realität getan - eine Welt, in der die Dinge mehr als nur eine
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