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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Bedeutung hatten und in der Schatten nicht nur Schatten waren und Stille nicht nur Stille. Sie waren zu Verstecken geworden; schwarze Löcher in der Wirklichkeit, Hinterhalte für Dinge, die er nicht erkennen konnte und vielleicht besser auch nicht sollte.
    Stefan versuchte mit aller Macht, diese irrationalen Gedanken aus seinem Kopf zu verjagen, aber es war wie vorhin: Er erreichte das genaue Gegenteil dessen, was er wollte. Während er den Parkschein in den Automaten schob und die beiden Fünfmarkstücke einwarf, glitt sein Blick über die Reihen der ordentlich abgestellten Wagen, und er sah weit mehr, als er sehen wollte. Mehr, als normal war. So als ob alle seine Sinne plötzlich mit einer nie gekannten Schärfe funktionierten. Die Schatten zwischen den Wagen
bewegten
sich. Es war nichts darin. In den Schatten war nur Leere, aber er konnte diese Leere sehen wie etwas
    Körperliches, das wogte und waberte. Er hörte Geräusche, von denen er bisher nicht einmal gewußt hatte, daß es sie gab; das leise Knacken abkühlender Motoren, das Wispern des Stroms, der in unsichtbaren Leitungen hinter den Wänden floß, das Klicken von Relais, ein gemurmeltes Gespräch, vielleicht eine, vielleicht sogar zwei oder drei Etagen über ihm, und er roch Dinge, die seinen normalen Sinnen verborgen waren:
    Eine intensive Wolke von Parfumduft, die einem Polo zwanzig Meter von ihm entfernt entströmte, der Ledergeruch eines fabrikneuen Mercedes ein Stück entfernt auf der Linken. Einem Wagen, der ganz in den Schatten direkt hinter dem Eingang abgestellt war, entströmte ein so starker Moschusgeruch, daß er beinahe eine Erektion bekam, jemand hatte auf den Rücksitzen Sex gehabt, und das vor ganz kurzer Zeit.
    Stefan schloß die Augen, ballte die Hände zu Fäusten und preßte die Kiefer so fest aufeinander, daß seine Zähne schmerzten. Trotzdem verstärkte er den Druck noch. Ein dünner, roter Schmerzpfeil schoß durch seinen Kiefer bis in die Stirn hinauf.
    Es half.
    Als er die Augen wieder öffnete, war die Welt wieder in die Normalität zurückgekehrt. Die Schatten waren wieder Schatten, das Schweigen wieder Schweigen und das Parkhaus wieder ein Parkhaus.
    Mehr war es auch nie gewesen.
    Stefan schüttelte den Kopf. Er hatte die Hände immer noch zu Fäusten geballt, und er lockerte seinen Griff auch jetzt nicht. Er war wütend auf sich selbst, auf sich und vor allem auf seine Feigheit, die letztendlich der einzige Grund für diese unheimliche Vision gewesen war. An dem alten Sprichwort, daß der Mutige nur einmal stirbt, der Feige aber hundertfach, schien doch etwas dran zu sein.
    Mit einiger Mühe zwang er seine Fäuste, sich zu öffnen, nahm den Parkschein und das Wechselgeld aus dem Automaten und steuerte den Aufzug an der gegenüberliegenden Wand an. Fast ohne sein Zutun suchte sein Blick den Wagen hinten links in der Ecke. Er lag so tief im Schatten, daß Stefan nicht einmal das Fabrikat erkennen konnte, und mindestens zwanzig Meter vom Kassenautomaten entfernt. Es war somit vollkommen unmöglich, daß er auch nur die Spur eines Geruchs daraus wahrgenommen hatte. Eine Halluzination, mehr nicht.
    Und er würde es sich selbst beweisen.
    Stefan hatte den Aufzug schon fast erreicht, aber dann machte er kehrt und ging mit schnellen Schritten auf den Wagen zu, doch auf halber Strecke blieb er stehen. Im Inneren des Wagens bewegte sich etwas.
    Nein, nicht etwas.
    Jemand.
    Was immer diese unheimliche Vision ausgelöst hatte, hatte ihn nicht getrogen. Er war jetzt nahe genug, um nicht nur das Fabrikat und die Farbe erkennen zu können, sondern auch, daß sich auf den Rücksitzen des Mercedes zwei Gestalten bewegten, eng umschlungen und so in ihr Liebesspiel vertieft, daß sie ihn wahrscheinlich nicht einmal wahrgenommen hätten, wäre er noch näher herangegangen.
    Aber das ist unmöglich'.
dachte Stefan entsetzt.
Vollkommen unmöglich!
Er
konnte
von seiner Position vorne am Automaten aus nichts wahrgenommen haben. Er erkannte jetzt, daß die beiden Lampen unmittelbar über dem Mercedes ausgefallen waren, vielleicht auch abgeschaltet. Aus diesem Grund war es in dieser Ecke so dunkel, und aus keinem anderen Grund hatte das Pärchen im Wagen den Mercedes auch dort abgestellt. Es war vollkommen unmöglich, daß er irgend etwas gehört, geschweige denn gerochen hatte.
    Und doch...
    Stefan fühlte, wie sich jedes einzelne Haar auf seinem Kopf sträubte. Er begann am ganzen Leib zu zittern. Was, um alles in der Welt,
geschah
hier?
    Er

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