Wolfsherz
Wetters hatte er auch keinen langen Fußmarsch in Kauf genommen, sondern das erstbeste Restaurant angesteuert, das er entdeckte. Während er das schmucklose, aus fünf über- und drei unterirdischen Etagen bestehende Gebäude ansteuerte, kramte er in der
Jackentasche nach Kleingeld für den Automaten, fand aber keines. Dann erinnerte er sich, daß er seine gesamten Münzen der Kellnerin im Restaurant gegeben hatte. Der Rest seiner Barschaft bestand aus einem Hundertmarkschein, den der Automat des Parkauses garantiert nicht wechseln konnte.
Stefan seufzte. Allzuviel Großzügigkeit zahlte sich offensichtlich nicht immer aus.
Er sah sich suchend auf der schmalen Straße um. Sie bestand nur aus einem halben Dutzend Gebäuden auf jeder Seite und dem Parkhaus selbst, das wie eine mit blauen und gelben Kunststoffstreifen verkleidete Betonmauer an ihrem Ende emporragte; ein Anblick, der der Straße etwas zugleich sonderbar Tristes wie auch Endgültiges gab. Er hatte die Wahl zwischen einem Zigarettenkiosk zwanzig Schritte vor ihm und einer Filiale der Deutschen Bank, zwar nur halb so weit entfernt, aber in der entgegengesetzten Richtung. Er entschied sich für den Kiosk, schon, weil es zu einer seiner kleinen Marotten gehörte, nach Möglichkeit niemals einen Weg zurückzugehen, den er einmal hinter sich gebracht hatte, selbst wenn dies unterm Strich einen Umweg bedeutete, Stefan haßte es, Dinge zweimal zu tun.
Er betrat den Kiosk, zog den säuberlich zusammengefalteten Hunderter aus der Jackentasche und sah schon am Blick des Kioskbesitzers, daß er in diesem Fall besser eine Ausnahme gemacht und das kleine Stück zurückgegangen wäre.
»Bitte entschuldigen Sie«, begann er, »aber könnten Sie mir diesen Schein vielleicht wechseln? Ich muß meinen Wagen aus dem Parkhaus holen, und der Automat unten nimmt keine so großen Banknoten an.«
»Sieht das hier aus wie eine Wechselstube?« fragte der Mann hinter der Theke. Er war einen guten Kopf größer als Stefan, dabei aber so dünn, daß seine Kleider um seine Statur schlotterten. »Wenn ich die Kasse aufmachen soll, müssen Sie schon etwas kaufen. Ansonsten gibt es eine Bank, fünfzig Meter die Straße hinunter.«
Stefan schluckte die verärgerte Antwort hinunter, die ihm auf der Zunge lag. Der Mann war nicht besonders freundlich, aber es gab schließlich kein Gesetz, das ihn dazu verpflichtete, jeden, der hereinkam, mit ausgesuchter Höflichkeit zu behandeln. Einen kurzen Moment lang überlegte Stefan ernsthaft, die Sache auf die Spitze zu treiben und eine Schachtel Streichhölzer zu verlangen, oder eine der Lakritzschnecken, die in einem Glas neben der Kasse standen, entschied sich aber dann dagegen. Es gab nicht den mindesten Grund, wegen einer solchen Lappalie einen Streit vom Zaun zu brechen.
Achselzuckend trat er von der Theke zurück, drehte sich um und ließ seinen Blick über den Zeitungsständer schweifen, der praktisch die gesamte rückwärtige Wand des winzigen Raumes einnahm. Es war die übliche Auswahl, von den schreiend bunten Titelbildern der Yellow-Press bis hin zu einer anderthalb Monate alten Ausgabe des GEO-Magazins. Unter den mißtrauischen Blicken des Ladenbesitzers nahm Stefan das eine oder andere Blatt zur Hand, stöberte unschlüssig einen Moment in einer Illustrierten und stellte sie schließlich zurück. Als er sich wieder zur Theke herumdrehte, fiel ihm eine Gestalt auf, die draußen auf der Straße stand und zu ihm hereinsah. Aber der Mann war weder hellblond, noch trug er Jeans und Lederjacke, und er sah auch nicht ihn an, sondern versuchte durch das Schaufenster hindurch einen Blick auf die Titelblätter der Zeitschriften zu ergattern, in denen er gerade geblättert hatte.
Stefan trat wieder an die Theke heran, legte seine Banknote neben die Kasse und sagte: »Geben Sie mir eine Schachtel Camel... oder besser gleich drei. Und ein Feuerzeug.« Der Umriß hinter der Fensterscheibe bewegte sich; als wäre er einen Schritt zur Seite getreten, um irgend etwas im Inneren des Kiosks besser sehen zu können. Stefan gestattete sich nicht, den Kopf zu drehen, um ihn genauer anzusehen.
»Neunzehn achtzig.« Dem ausgemergelten Gesicht seines Gegenübers war keine Reaktion anzumerken, während er die Kasse öffnete, den Hunderter achtlos hineinwarf und das Wechselgeld herausnahm, ohne auch nur hinzusehen. Die letzten zehn Mark zählte er in Münzen ab. »Für den Automaten.«
Nach dem unhöflichen Empfang von gerade war Stefan einigermaßen
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