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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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so daß er nicht das Gefühl jener einzelnen Sekunde hatte, die tatsächlich verstrich, sondern sie zu einer kleinen Ewigkeit zu werden schien: Die Aufzugtüren glitten knirschend auseinander - er
    konnte hören, daß eines der Zahnräder in der jahrzehntealten Mechanik abgenutzt war, so daß sie nicht mehr hundertprozentig funktionierte -, und eine Frau trat heraus. Das Motorengeräusch kam näher, und für eine halbe Sekunde streifte das Scheinwerferlicht den Mann vor ihm und ließ ihn blinzeln; seine Augen reflektierten das weiße Schimmern und schienen noch etwas hinzuzufügen, und dann-
    - war es vorbei.
    Die Drehtür beendete ihre Runde, bevor er auf der anderen Seite hinaustreten konnte. Die Welt bekam ihre Farbe zurück, aber sie schien gleichzeitig auch neunzig Prozent ihrer Intensität zu verlieren. Stefan war sich darüber im klaren, daß es diesmal tatsächlich nur ein subjektiver Eindruck war, und doch erschien die Welt plötzlich flach, farblos und auf sonderbare Weise gedämpft. Nachdem seine Sinne für einen Sekundenbruchteil mit so übermäßiger Schärfe gearbeitet hatten, kamen ihm ihre normalen Fähigkeiten nun plötzlich gedämpft vor, als hätte jemand einen Schleier über seine Augen gelegt und seine Ohren und seine Nase mit Watte verstopft. Die Drehtür hatte sich ein Stück zu weit in die entgegengesetzte Richtung gedreht. Dann schnappte sie endgültig zurück, und endlich war wieder alles
wirklich
    normal.
    »Entschuldigung.«
    Die Frau aus dem Aufzug drängte sich schräg gehend zwischen ihm und dem Mercedesfahrer hindurch, wobei sie versuchte, gleichzeitig den Blick gesenkt zu halten, ihn und Stefan aber auch verstohlen zu mustern. Stefan wurde schmerzhaft bewußt, daß sie sich nicht einfach gegenüberstanden, sondern eindeutig
Kontrahenten
waren. Er machte einen raschen Schritt, um ihr Platz zu machen, damit zugleich aber auch in die Liftkabine zu treten. Es war sein einziger Fluchtweg. Er mußte
weg hier.
Sofort.
    Unglückseligerweise hatte sich der andere wohl in den Kopf gesetzt, genau dies zu verhindern, denn er vollzog seine Bewegung getreulich nach und streckte gleichzeitig den Arm aus; wie Stefan im allerersten Moment annahm, um ihn an der Schulter zu ergreifen, in Wirklichkeit aber wohl, um die Lichtschranke zu unterbrechen, damit sich die Aufzugtüren nicht schlössen. Daß er die Frau dabei anrempelte und um ein Haar von den Füßen riß, bemerkte er nicht einmal.
    »Warten Sie!« In seiner Stimme war jetzt ein hysterischer Unterton, zu dem sich ein Flackern in seinem Blick gesellte, das sämtliche Alarmglocken hinter
    Stefans Stirn schrillen ließ. Der Mann befand sich auf jenem gefährlichen Grad zwischen Panik und cholerischer Wut, auf dem der nächste Schritt entscheiden würde, in welche Richtung er abstürzte. Stefan machte einen zweiten Schritt und wich damit bis an die Rückwand der Kabine zurück. Gleichzeitig drückte er den Knopf für das vierte Untergeschoß, nicht weil sein Wagen dort stand, sondern ziellos; vielleicht auch, weil das unterste Parkdeck am weitesten von diesem Ort und damit seinem Verfolger entfernt war. Seine Handlungen wurden noch immer mehr von Instinkten bestimmt als von klarem Überlegen.
    »So warten sie doch!« sagte der andere. Er stand noch immer in einer fast grotesken Haltung da: den rechten Arm ausgestreckt und das Bein halb erhoben, als wage er es nicht, die Liftkabine endgültig zu betreten. Vielleicht spürte er, daß das Überschreiten dieser Schwelle zugleich auch das Unterschreiten von Stefans Fluchtdistanz bedeuten mußte, und vielleicht war unter dem Chaos aus Angst, Wut und Panik hinter seiner Stirn doch noch ein winziger Rest von klarem Denken, der ihm sagte, daß es noch eine winzige Chance gab, die drohende Eskalation zu verhindern.
    »Ich muß mit Ihnen reden. Bitte!«
    »Da gibt es nichts zu bereden«, antwortete Stefan. Beiläufig registrierte er, daß der Wagen nicht mehr näher kam, sondern offensichtlich angehalten hatte. Nicht sehr weit entfernt, aber doch außerhalb des Bereiches, den er aus dem Lift heraus einsehen konnte. Türen wurden geöffnet. »Sie verwechseln mich. Ich bin nicht der, für den Sie mich halten.«
    »Was bezahlt sie Ihnen?« fragte der andere nervös. Sein Blick tastete über Stefans Gesicht, suchte vielleicht nach einem verräterischen Zeichen, vielleicht nach einer Spur von Schwäche. »Ich... ich gebe Ihnen zehntausend! Sofort. Einen Barscheck. Sie können ihn sofort haben.«
    »Ich will Ihr

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