Wolfsherzen - Eine Liebe in Alaska
Hand. „Du hast keine Ahnung, was hier draußen ein Wintereinbruch bedeutet“, erwidert er, während er sich erhebt. „Ich hoffe, die Erfahrung bleibt dir erspart.“ Er entfernt sich ein wenig von ihr. „Aber ich kann nicht mehr daran glauben“, meint er weiter, wobei er sich von ihr abwendet und an seinem Hosenstall zu schaffen macht.
Lucy atmet angespannt durch. Einen Wintereinbruch hat sie in der Tat noch nie erlebt. In der Winterzeit betreuten ihre Eltern stets ihre Projekte auf der Südhalbkugel oder in den Tropen. Und sie selbst hält es genauso, wenn sie für Robert unterwegs ist. Wenn sie sich nicht gerade in den warmen Räumen des Universitätsgebäudes aufhält. Dort, wo sie ihrer wahren Leidenschaft frönt. Der Wissenschaft.
Lucius ist wieder zurück. Er stellt seinen Rucksack aufrecht hin und schnürt ihn wieder zu. „Sollten wir heute noch ankommen, kannst du mit mir anstellen, was du willst“, bedeutet er ihr mit einem frechen Grinsen.
Sie versucht es mit einem Lächeln, verdreht dann jedoch die Augen und schüttelt besorgt den Kopf. „Wie du meinst“, murmelt sie und erhebt sich. Schweigend verstaut sie ihren Trinkbecher im Rucksack. Sie spürt seine Hand auf ihrer Schulter. Lucius dreht sie zu sich herum. Er legt einen Finger unter ihr Kinn und drückt es hoch, so dass sie ihn ansieht.
„Hey.“ Er gibt ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. „Mich haut so schnell nichts um. Wir schweben hier draußen in Lebensgefahr, Lucy.“ Er weist mit dem Kopf zu seinem Rucksack. „Hilfst du mir, ihn wieder aufzusetzen?“
„Dann los“, stöhnt sie gedehnt. „Du machst ja doch, was du willst.“
„Ja“, meint er herausfordernd und stellt seinen Rucksack auf ihrem liegenden auf. Sie hält ihn fest, damit er ihn wieder aufsetzen kann. „Das solltest du dir merken.“ Er geht in die Knie und fährt mit den Armen in die Trageriemen.
„Ach“, sagt sie verächtlich. Vorsicht: Mistkerl. Das ging aber schnell. … Nein. Es ist nur die Angst, eingeengt zu werden. Sie kennt es. Ganz genau sogar. Deswegen ist sie hier. Weg von Roberts Enge und seinem Unverständnis für sie. Weg von all dem Luxus, den er für so wichtig hält. Der ihr jedoch die Luft zum Atmen nimmt. Und ihm die Möglichkeit, ihr Inneres zu sehen, sie zu verstehen. Aber Lucius versteht sie! Wird er es jedoch auch noch tun, wenn er mehr von ihr weiß? Sie ist einfach zu anders!
Lucius legt sich seinen Hüftgurt um und zieht ihn straff.
„Jetzt“, gibt er ihr zu verstehen und stemmt sich langsam hoch, während Lucy von hinten versucht, den Rucksack anzuheben. Sie keucht unter seinem Gewicht und kann nicht glauben, wie schwer er ist.
„Lucius“, bringt sie ächzend hervor. „Du bist doch ... wahnsinnig !“
Er kommt hoch und wendet sich zu ihr herum. „Nein“, erwidert er spöttisch. „Du bist nur ein kleines, schwaches Weib.“
Sie verschränkt die Arme vor der Brust. „Ich sag‘ doch. Angeber!“
Er lacht nur und setzt über den Bach. „Kommst du?“
Sie nimmt ihren Rucksack auf, der ihr jetzt federleicht vorkommt, und folgt ihm.
Etwa zwei Stunden später hat sich der Himmel über ihnen völlig zugezogen und alles verdunkelt. Der Wind hat zugenommen. Die Luft ist empfindlich abgekühlt.
Lucy ist beunruhigt. Immer wieder sieht sie nach oben zu den im Wind schwankenden Baumwipfeln empor, um einen Blick auf den bedrohlich dunkel blaugrau verfärbten Himmel zu erheischen. Sie kommen schon längst nicht mehr so schnell voran, wie anfangs. Ihre Sorge um Lucius hat zugenommen. Er bleibt immer öfter vorn übergebeugt stehen, um seine Wunde vom Rucksackgewicht zu entlasten. Sie läuft knapp hinter ihm, als er es erneut tut.
„Ich denke nicht, dass wir es in zwei Stunden geschafft haben“, meint sie, während sie neben ihn kommt.
„Ja. Wir sind zu langsam.“
„Lass uns eine Pause einlegen, Luc.“
„Nein.“ Er richtet sich auf und sieht sie an. „Dann komme ich nicht mehr hoch, fürchte ich.“
Lucy fasst sich an die Stirn. „Warum deponieren wir hier nicht einen Teil der Ausrüstung und holen ihn später ab?“
Er läuft langsam weiter. „Weil hier bald alles meterhoch eingeschneit sein könnte.“
Sie flucht leise vor sich hin und folgt ihm hinterher.
Eine weitere Stunde später hat der Wind auf Norden gedreht und es beginnt, heftig zu stürmen. Zwar sind sie im Wald relativ gut vor dem Wind geschützt, doch sie müssen sich höllisch vor herabstürzenden Ästen oder gar umfallenden Bäumen in Acht
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