Wolfsherzen - Eine Liebe in Alaska
sich gar, um zu ihm aufzuschließen. Nach kurzem bleibt er stehen, den Blick hinab auf eine kleine Senke gerichtet. Der Schnee ist dort an einer Stelle blutrot verfärbt. Lucy erkennt das Karibu dort liegen. Der Bär hat sich reichlich bedient, doch es ist noch genug für sie übrig.
Lucius beobachtet aufmerksam die Umgebung.
„Ich finde, du gehst ein zu hohes Risiko ein, Lucius! Der Bär ist aus dem Winterschlaf raus und viel zu aggressiv. Für ein Stück Fleisch würde der vermutlich alles tun!“
„Genau wie wir“, raunt er und sieht sie an. „Wir haben keine Wahl. Wir brauchen das Fleisch. Notfalls würde ich ihn erschießen. Besser er, als wir.“ Er lässt seinen Blick nochmals über die Umgebung schweifen. „Komm jetzt. Bringen wir es hinter uns.“
Sie gehen zum Karibu hinunter. Lucy ist mehr als nervös. Im Falle eines Angriffes hätten sie in dieser Senke nur strategische Nachteile.
Er drückt ihr die Pumpgun in die Hände. „Du beobachtest die Umgebung“, weist Lucius sie an, während er sich bereits neben dem Karibu in den Schnee kniet.
Das muss er ihr nicht zweimal sagen. Wachsam behält sie das Umfeld im Auge, den Blick ab und zu auf Lucius abgewandt, der mit schnellen, geübten Griffen die besten Stücke aus dem Karibu herausschneidet. Sie setzt ihren Rucksack ab und schiebt ihm diesen hin, den Blick nicht von der Senke abgewandt. Lucius packt das Fleisch eilig in ihre Rucksäcke. Da bemerkt Lucy aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung. Sie erblickt einen großen, schwarzen Wolf. „Lucius“, raunt sie. „Ein Freund von dir?“
Er folgt ihrem Blick. „Beobachte ihn. Wenn er zu nah heran kommt, mach einfach einen Schritt auf ihn zu.“ Er wendet sich wieder dem Fleisch zu. „Er würde uns den Bären früher anzeigen, als wir ihn wahrnehmen könnten.“
„Hoffentlich ist er allein.“ Sie lässt den Wolf nicht aus den Augen.
„Es ist der vom See“, erwidert Lucius.
Lucy ist überrascht. „Er ist noch jung. Sicher ist er auf der Suche nach einem Weibchen.“
„Ja. Genau“, bemerkt Lucius. „Ist die schwerste Zeit in einem Wolfsleben. So ganz ohne Rudel. Er hat sicher ständig Hunger.“
Sie nickt nachdenklich. Der Wolf ist sehr schlank. Und riesig. Wie alle Wölfe Alaskas. Nirgendwo anders gibt es größere Wölfe, Elche, Karibus, Lachse … und Bären!
Lucy atmet angespannt durch. Sie schätzt, dass ihr der Wolf an seiner Schulter bis fast zum Bauchnabel heranreichen dürfte. Er tänzelt nervös hin und her und setzt sich schließlich. Mit aufmerksam gespitzten Ohren blickt er in ihre Richtung. Dann erhebt er sich wieder und kommt näher. Er ist vielleicht noch einen Steinwurf entfernt, als er sich erneut setzt, die Nase witternd hochgehoben. Dann jault er ungeduldig auf und sieht mit schräg gestelltem Kopf zu ihnen herüber.
„Kann ich ihm etwas zuschmeißen?“
„Der holt sich schon seinen Teil. ... Ich bin gleich fertig.“ Lucius verpackt die letzten Fleischstücke und schnürt ihre Rucksäcke wieder zu. Als Lucy ihren Rucksack schultert, strauchelt sie unter seinem Gewicht. Es lässt sie tiefer im Schnee versinken.
„Gehen wir“, meint Lucius und nimmt ihr die Pumpgun ab. Sie setzen sich Richtung Wolf in Bewegung. Dieser zieht augenblicklich den Schwanz zwischen die Beine und weicht ihnen geschwind aus. Er umrundet sie und steuert das Karibu an. Als er sich dann über den Kadaver hermacht, lässt er sie nicht aus seinen gelben Augen, die sich stechend von seinem schwarzen Fell abheben.
Lucy ist stehen geblieben und beobachtet ihn fasziniert.
„Komm Lucy! Der Bär ist hier noch irgendwo in der Nähe und wir riechen ziemlich gut nach Karibu.“
Es lässt sie blitzschnell zu ihm aufschließen.
Verschwitzt erreichen sie das Blockhaus knapp vor dem Dunkelwerden und hängen die Fleischstücke im Schuppen auf.
„Die nächsten zwei Wochen werden wir damit wohl über die Runden kommen.“ Lucius hatte etwas Fleisch zur Seite gelegt und nimmt es jetzt wieder auf. Sie gehen ins Haus hinüber.
Lucy legt als erstes Holz auf die Glut im Ofen.
Lucius gibt das Fleisch in die Pfanne. „Willst du oder soll ich?“
Sie blickt zu ihm. „Oh nein. Bitte mach du es. Ich hab‘ keine Lust mehr auf verkohltes Essen.“
Er nickt mit einem spöttischen Grinsen und beginnt, das Fleisch in dünnere Scheiben zu schneiden.
Lucy nimmt sich eine Schüssel und schöpft warmes Wasser vom Herd hinein, um sich den Schweiß vom Oberkörper zu waschen. Sie stellt die Schüssel auf dem
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