Wolfsinstinkt
kam aus dem Lachen nicht mehr heraus, und ehe er sich versah, erschienen die Dächer des Dorfes am Horizont.
Ricky blieb stehen und schaute Tala an, schmunzelte kurz, als sich der Wolf vor ihn setzte und den Kopf zu seinem Gesicht hob, wurde dann aber ernst.
„Willst du wirklich mitkommen?“, fragte er ihn. „Willst du es alle wissen lassen, dass du deine Zeit mit mir verbringst?“
Tala senkte einen Moment den Kopf, hob ihn an und sprang mit den Vorderpfoten stampfend auf. Ricky schätzte, dass das ein ‚Ja‘ gewesen war. Er streichelte dem Wolf über den Kopf, klopfte ihm fest auf die Seite über dem Vorderlauf und nickte.
„Na, dann gehen wir mal!“, sagte er aufmunternd. Also würde nun das ganze Dorf erfahren, dass er mit dem örtlichen Werwolf zusammen war. Na, wenn das mal nicht ein guter Einstand war.
Als sie das Dorf betraten und die ersten Menschen um si e herum au ftauchten, legte sich Talas übermütiges Verhalten. Stattdessen lief er ruhig und mit erhobenem Haupt neben Ricky her. Er blickte sich dafür aufmerksam um, fast als wolle er sicher gehen, dass ihnen niemand zu nahe kam. Sowohl Ricky als auch das große Tier an seiner Seite wurden mit neugierigen Blicken bedacht. Dieser ‚Wächter des Dorfes‘ schien hier nicht gerade berühmt, sondern eher berüchtigt zu sein.
Sie gingen auf den einzigen Laden des Dorfes zu, und Ricky erinnerte sich an die Verkäuferin vom letzten Mal, die offenbar geahnt hatte, wen er gesund pflegte. Auf sie war er besonders gespannt. Allerdings schafften sie es gar nicht bis zum Laden. Ein kleiner Junge kam auf sie zu gerannt, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt. Tala wich überrascht zurück, als der Junge vor ihnen stehen blieb und mit leuchtenden Augen den Wolf anstarrte, der größer war als er selbst.
„Ist das der Wächter?!“, fragte der Junge aufgeregt.
Ricky wandte den Kopf von Tala zu dem Jungen und zurück zu Tala. Fast etwas bedrückt trat Tala von einer Vorderpfote auf die andere und sah verstört zu Ricky auf.
Ricky lächelte den Jungen an und kraulte Talas Kopf. „Vielleicht. Hast du den Wächter nie zuvor gesehen?“
Der Junge schüttelte hastig den Kopf. „Nein, ich bisher noch nicht. Mein Papa hat gesagt, dass der Wächter unseres Dorfes der größte Wolf der ganzen Welt ist und in den Wäldern wohnt.“
Ricky lachte leise. „Na, dann schau ihn dir jetzt an.“
Tala wurde zunehmend nervöser, wie es schien. Der Junge allerdings hatte mit dieser Aufforderun g anscheinend nicht gerechnet.
„Ist er das wirklich? Es gibt Geschichten über ihn. Mein Papa sagt, dass er unser Dorf beschützt, wenn es in Gefahr ist. Und unsere Leute, wenn sie in den Wald gehen.“
Ricky lächelte und sah zu Tala hinab, ohne das Streicheln dabei einzustellen.
„Dein Vater hat recht“, erwiderte Ricky und betrachtete Tala nachdenklich. Mitleid stieg in ihm auf. Es musste ein einsames Leben gewesen sein, das Tala bisher geführt hatte. Unwillkürlich fragte er sich, wer Tala wohl gepflegt hätte, wenn er nicht ausgerechnet am Vortag angekommen wäre? Wäre der Wolf einfach im Wald geblieben und hätte auf sein Ende gewartet? Bei diesem Gedanken zog sich Rickys Herz schmerzhaft zusammen. Hundert Fragen wirbelten durch seinen Kopf, keine davon konnte er gerade stellen. Der Junge brauchte sie nicht hören und Tala konnte sie in seiner jetzigen Gestalt nicht beantworten. Er gab Tala einen Klaps auf die Schulter.
„Wir müssen weiter, wir haben heute noch einen langen Weg vor uns“, erklärte er dem kleinen Jungen, der nach wie vor mit großen Augen und offenem Mund auf das mächtige Tier starrte.
Langsam ging er weiter und merkte dabei, wie Tala sich an ihn drückte. Es war ein merkwürdiges Gefühl, den riesigen Wolf so unsicher zu erleben.
„Es ist alles in Ordnung“, flüsterte er ihm zu. „Sie werden dir nichts tun.“
„Entschuldigung“, sagte der Junge hell und aufgeregt, und Ricky wandte sich noch einmal zu ihm um.
„Darf ich ihn ... streicheln?“
Ricky schaute Tala an, als ob er ihn fragen wollte, ob das in Ordnung ginge. Tala zögerte kurz, setzte sich auf die Hinterläufe und senkte den Kopf.
„Ich denke, du kannst ihn vorsichtig streicheln“, sagte Ricky mit einem schmalen Lächeln.
Es war niedlich anzusehen, wie der Kleine seinen ganzen Mut zusammennahm, zitternd auf Tala zuging und die Hand nach ihm ausstreckte.
„Er ist ganz weich!“, wisperte der Junge erstaunt, nachdem er seine Finger in dem dichten Fell vergraben
Weitere Kostenlose Bücher