Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder

Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder

Titel: Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
lecker
    das gerede irrt
    der name bedeutet nicht ich
    der mond ist mein vater
    »Der Mond ist mein Vater«, sagte Jerry. »Was meinst du damit?«
    »Er schaut zu, wenn ich schlafe«, sagte Theres. »Ein Papa macht das.«
    Theres’ Schlafzimmer war so gelegen, dass der Mond manchmal in das Fenster hineinleuchtete, wenn sie abends zu Bett ging. Die Idee, wie Väter sich verhalten, hatte sie vielleicht irgendwo beim Lesen aufgeschnappt.
    »Klar«, sagte Jerry. »Gutes Gedicht. Schick es ab.«
    Er zeigte ihr, wie sie auf Senden klicken musste. Anschließend saß Theres mit den Händen auf den Knien da und starrte auf den Bildschirm, bis Jerry fragte, worauf sie denn warte.
    »Dass jemand etwas sagt«, antwortete sie.
    »Das kann dauern, weißt du. Guck morgen mal nach.«
    Theres stand vom Computer auf und ging auf den Balkon hinaus. Jerry sah, dass sie ihr Gesicht betastete, dass sie mit den Fingern darüber hinwegstrich, während sie auf die Straße hinunterspähte.
    Am folgenden Tag hatte eine gewisse Josefin einen lobenden Kommentar zu dem Gedicht hinterlassen. Jerry zeigte ihr, wie man auf Kommentare antwortete und eigene erstellte. Als Theres eine Weile dagesessen und geklickt und geschrieben hatte, fragte sie: »Sind das Menschen?«
    »Wer?«
    »Die da schreiben.«
    »Was sollten die sonst sein?«
    »Ich weiß nicht. Sind es kleine Menschen?«
    »Die meisten von ihnen schon. Oder junge Menschen, zumindest.«
    Als Jerry Theres erklärt hatte, wie die Lyrikseite funktionierte, hatte er gesehen, dass fast alle Benutzer Mädchen im Alter von vierzehn bis zwanzig Jahren waren, Jungen oder ältere Personen gab es nur vereinzelt. Ohne dass es seine Absicht gewesen war, schien er Theres eine Möglichkeit eröffnet zu haben, der Welt einen Schritt näherzukommen und Gleichaltrige kennenzulernen.
    Theres saß mehrere Stunden lang so still und konzentriert vor dem Computer, dass Jerry sie nicht mit der Ankündigung unterbrechen wollte, dass er jetzt dort arbeiten müsse. Nachdem sie sich alle Gedichte durchgelesen hatte, die es gab, sagte sie: »Sie sind traurig.«
    »Wer? Die da schreiben?«
    »Ja. Sie sind traurig. Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Sie weinen. Es ist schade um sie.«
    »Ja, so ist das wohl.«
    Theres runzelte die Stirn und konzentrierte sich. Sie schaute auf den Computer, auf ihre Hände. Dann stand sie auf und ging eine Weile auf den Balkon hinaus. Als sie wieder hereinkam, fragte sie: »Wo sind sie?«
    »Die Mädchen? Irgendwo, hier und da. Eine wohnt vielleicht im Haus gegenüber, eine andere könnte in Göteborg leben. Ganz weit weg, also.«
    Jerry hatte den ganzen Tag in der Wohnung verbracht, und draußen begann es zu dämmern. Ihm kam eine Idee. »Wollen wir rausgehen und gucken?«, sagte er. »Vielleicht sehen wir jemanden?«
    Theres erstarrte. Dann nickte sie.
    In den folgenden Tagen und Wochen wagte sich Theres immer weiter aus der Wohnung heraus. Zu Anfang wollte sie sich sofort verstecken, wenn sie einen erwachsenen Menschen erblickte, aber allmählich begann sie zu akzeptieren, dass der Hunger der Großen normalerweise gestillt war und sie sich nicht gleich auf sie stürzen würden.
    Kinder interessierten sie nicht, weil sie der Auffassung war, das sie einer anderen und ungefährlichen Art angehörten. Nein, in erster Linie waren es Menschen in ihrem eigenen Alter, nach denen sie auf der Jagd war. Sie wollte sehen, was sie machten, wie sie aussahen, was sie sagten. Mehr als ein Mal musste Jerry sie aus peinlichen Situationen herausziehen, wenn sie jemanden unverhohlen anstarrte oder ganz offensichtlich Gespräche belauschte.
    Ihre Sprache wurde der eines normalen Teenagers immer ähnlicher, und Jerry kaufte ihr Kleidung, die aussah wie das, was ihre Altersgenossen trugen. Das Einzige, was nicht in den Griff zu bekommen war, waren ihre Haare. Jerry versuchte mit ihr zum Friseur zu gehen, aber sobald die erwachsene Frau die Schere in die Hand nahm, begann Theres zu schreien und weigerte sich, auf dem Stuhl sitzen zu bleiben. Nichts und niemand konnte sie davon überzeugen, dass es ungefährlich war.
    Abgesehen von ihrer Frisur, die Jerry mit der Küchenschere bearbeitete, konnte man sie also für irgendein beliebiges Mädchen halten, wenn sie nicht diesen ständig abwesenden, ausweichenden Blick gehabt hätte. Jerry ließ sich durch diesen Anschein von Normalität nicht täuschen. Er wusste, dass er im Grunde keine Ahnung hatte, wie es in ihrem Kopf wirklich aussah. Nicht die geringste

Weitere Kostenlose Bücher