Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
als etwas anderes betrachtete, dann sollte das vielleicht lieber noch eine Weile so bleiben.
Natürlich hatte Theres auch vorher schon Schwarze gesehen, aber Jerry hatte keine Ahnung, was sie über sie dachte, weil er nie gefragt hatte. Vielleicht trug auch der kräftige Akzent der Putzfrau dazu bei, dass Theres sie als etwas Fremdes betrachtete.
»Entschuldigung«, sagte Jerry, »wie heißt du eigentlich?«
Die Putzfrau wischte sich den Schaumfestiger am Kittel ab und streckte ihm die Hand entgegen. »Paris.« Sie sprach es wie pärris aus. »Und du?«
»Jerry. Paris … wie die Stadt, oder?«
»Ja. Meine Schwester heißt Venice.«
Jerry versuchte, einen Kalauer über einen mutmaßlichen Bruder namens London zu formulieren, aber es wollte ihm nicht so recht gelingen, und bevor ihm etwas anderes einfiel, kehrte die Maskenbildnerin mit einem Mann im Schlepptau zurück.
Der Mann trug eine Passierkarte an einem Band um den Hals. Er war um die dreißig und sah aus, als hätte er eine Woche nicht geschlafen. Als die Maskenbildnerin zu erzählen begann, was passiert war, fuhren seine Augenbrauen in die Höhe, während sich gleichzeitig seine Augenwinkel in einer Miene von Here we go again nach unten senkten. Vermutlich waren Klagen von Seiten der Maskenbildnerin kein seltenes Ereignis.
Er hörte eine halbe Minute lang desinteressiert zu und warf anschließend einen Blick auf Paris, die Theres’ Augenbrauen gerade eine Nuance dunkler färbte, um ihre blauen Augen hervorzuheben, zuckte mit den Schultern und sagte: »Ja, ja. Aber jetzt scheint ja wieder alles in geordneten Bahnen zu laufen«, worauf er sich umdrehte und ging.
Die Maskenbildnerin lief ihm hinterher, und Jerry hörte sie sagen: »Eigentlich bin ich ja diejenige, die das hier macht!«, und die Antwort bekommen: »Ganz offensichtlich nicht.«
Paris wedelte vorsichtig mit einer Puderquaste über Theres’ Gesicht, und ein weiteres Mal konnte Jerry nur darüber staunen, dass Theres dabei die Augen geschlossen hatte, als ob sie es behaglich fand. Paris senkte die Stimme und sagte: »In Amerika haben wir diesen Ausdruck: Go fuck yourself .« Sie nickte zur Tür hinüber. »Diese Frau. Wie oft wollte ich schon … wie sagt ihr hier?«
Jerry überlegte eine Weile und sagte schließlich: »Scher dich zum Teufel.«
»Scher dich zum Teufel. Like … Fuck off to the Devil?«
»Yeah«, sagte Jerry. »Fuck off to the Devil. Scher dich zum Teufel.«
Paris knöpfte den Friseurumhang auf und zog ihn von Theres herunter. Sie sagte: »Scher dich zum Teufel«, lächelte Theres groß an und sagte: »Nicht du, honey. Du hast das gut gemacht. Das nächste Mal vielleicht nicht ganz so gefährlich.«
Sie hob den Besen wieder auf, den sie während des Tumults fallen gelassen hatte, und fuhr mit ihrer Arbeit fort. Theres stand vor dem Spiegel und betrachtete sich. In ihrem Silberkleid sah sie aus, als käme sie gerade aus einem Science-Fiction-Film, ein wunderschönes Wesen, das auf die Erde geschickt worden war, um die Menschen zu umgarnen und zu verführen. Oder um umgarnt und verführt zu werden.
Jerry räusperte sich und ging zu Paris hinüber, streckte die Hand aus. »Ja, dann vielen Dank«, sagte er. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Paris schaute auf seine Hand, ohne sie zu ergreifen. »Du könntest stattdessen etwas tun.«
»Wie bitte?«
»Ein Abendessen wäre schön«, sagte Paris, während sie sich auf die Bewegungen des Besens über den Boden konzentrierte.
»Abendessen?« Jerry hatte jedes einzelne Wort verstanden, das sie gesagt hatte, aber was sie damit andeutete, war dermaßen unvorstellbar, dass er den Worten keinen Sinn entnehmen konnte.
Paris seufzte und ließ den Besen ruhen. »Abendessen, ja. Du lädst zum Abendessen ein. Irgendwann. Irgendwo. Ihr macht so etwas nicht in Schweden?«
»Doch, doch, absolut«, sagte Jerry. »Absolut. Das mache ich gerne. Jederzeit. Überall. Oder … soll ich … hast du ein Telefon?«
Mit einem Kajalstift schrieb Paris ihre Telefonnummer auf eine Papierserviette, und Jerry steckte sie sich in die Brieftasche, als handelte es sich um das Schürfrecht für eine Goldader. Dann zog er sich mit Theres aus dem Raum zurück, winkte und verschwand um die Ecke.
Für den Rest des Tages kam er sich vor wie auf dem Mond. Oder auf dem Mars. Die Gravitation hatte ihn aus ihren Fängen entlassen, und er wog höchstens zwanzig Kilo. Immer wieder zog er die Serviette mit Paris’ Telefonnummer heraus, um sicherzugehen,
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