Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
unterhielt sich dabei vor allem mit Olof und Arvid. Nach dem Essen ging er nach draußen zu seinem Fahrrad. Teresa begleitete ihn, um sich von ihm zu verabschieden.
Als Johannes sich auf das Fahrrad gesetzt, schon kurz zum Abschied geklingelt hatte und losgerollt war, schien ihm plötzlich etwas einzufallen. Er wendete, fuhr zu Teresa zurück und stellte die Füße auf die Erde.
»Du, Teresa?«
»Ja?«
»Wir sind doch Freunde, oder? Auch wenn es irgendwie anders wird.«
»Wie meinst du das?«
Johannes ließ seine Fußspitze im Kies kreisen, wie sie es von ihm kannte, als er noch kleiner gewesen war.
»Nur dass … ich weiß nicht. Es ist ja nicht mehr dasselbe. Aber wir können doch trotzdem Freunde bleiben, oder?«
»Willst du das denn?«
Johannes legte die Stirn in Falten und dachte nach. Dann schaute er Teresa in die Augen und sagte voller Ernst: »Ja. Das will ich.«
»Dann ist es so.«
»Willst du denn auch?«
»Ja. Ich will.«
Johannes nickte ein paar Mal, dann grinste er breit und sagte: »Gut«, worauf er sich vorbeugte und Teresa auf die Wange küsste. Er trat in die Pedale und verschwand die Einfahrt hinunter, während er über die Schulter zurückwinkte.
Teresa stand mit hängenden Armen da und sah ihn über den Schotterweg verschwinden. Sie sah, wie sich der Weg in diesem Nebel auflöste, sie sah Johannes den Weg entlangradeln. In einer Minute würde er von ihm verschluckt werden, und sie konnte nichts dagegen tun.
14
Normalerweise lebte jedes Familienmitglied in seiner eigenen Welt. Aber in diesem Sommer schlossen sie sich enger um Teresa. Zuerst glaubte sie, es läge daran, dass Johannes verschwunden war. Oder es war Johannes’ Abwesenheit, die sie die Anwesenheit der Familie deutlicher spüren ließ.
Wie auch immer, Olof und Arvid begannen sie zu fragen, ob sie mitmachen wolle, wenn sie ein Computerspiel spielten. Maria versuchte sie mitzunehmen, wenn es an der Zeit war, zum Laden zu fahren, und Göran war fast jederzeit für eine Partie Mau-Mau oder Mogeln zu haben. Es beschlich sie der Verdacht, dass heimlich ein Familienrat getagt hatte und folgender Beschluss gefasst worden war: Alle sollen mit Teresa spielen .
Zunächst ging sie darauf ein. Sie spielte und surfte mit Olof und Arvid im Internet, sie half Maria in der Küche und spielte Mogeln mit Göran, bis beide die Spielweise des anderen so genau kannten, dass sie zwei- oder dreifach mogeln mussten, um irgendwie voranzukommen.
Aber nach ein paar Wochen begann sie zu spüren, dass die Bemühungen der anderen immer angestrengter wurden, als ob es sich um das Personal eines Jugendheims handelte, in dem nur sie allein betreut wurde.
Eines Morgens, als sie vor dem Spiegel stand und ihre Wangen zurückzog, um zu sehen, wie sie aussehen würde, wenn sie eine Chinesin und nicht fett wäre, entdeckte sie stattdessen etwas ganz anderes. Sie ließ die Wangen los und untersuchte ihr Gesicht.
Sie hatte braunes Haar und kräftige, braune Augenbrauen. Ihre Nase war klein und leicht nach oben gebogen, ihre Lippen dünn. Die anderen in der Familie hatten auch braunes Haar und braune Augen, aber in einer helleren Nuance. Sie besaßen fülligere Lippen, und ihre Nasen waren gerader und schmaler als Teresas. Sie konnte nicht erkennen, dass sie ihnen in irgendeiner Weise ähnlich sah.
Es traf sie wie eine absolute Gewissheit: Ich bin adoptiert.
Der Gedanke machte sie nicht traurig, im Gegenteil. Er erklärte vieles. Sie gehörte nicht dazu, so einfach war es.
Irgendetwas in ihrem Inneren sagte, dass alles nur erfunden war. Sie hatte die Geburtsanzeige gesehen, sie hatte ihr Tauffoto gesehen. Aber etwas anderes sagte ihr, dass diese Dinge nichts als Fälschungen waren. Ihr Herz sagte es, hämmerte stur die neue Botschaft in ihr Blut: Du gehörst hier nicht hin.
Mitte Juli sollten Arvid und Olof auf eine Fußballfreizeit fahren. Maria und Göran hatten die Gelegenheit wahrgenommen, für sich und Teresa eine Wochenendreise mit der Silja Line zu buchen. Jetzt sagte Teresa, dass sie nicht mitkommen wolle. Sie versuchten sie zu überreden, aber in ihrem Flehen meinte sie einen erleichterten Unterton zu vernehmen. Dass sie das Wechselbalg für ein paar Tage mal loswerden konnten. Sie gönnte es ihnen. Sie waren beide nette Menschen, im Grunde genommen. Jetzt, wo sie nicht mehr zu ihnen gehörte, hatte sie zu dieser Einsicht gelangen können.
Sie kochten Essen für sie, und Maria schrieb auf kleine Zettelchen, wie alles Mögliche funktionierte,
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