Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
Zweihundert Meter ebene Strecke, dann eine Steigung, dahinter die Schafweide und schließlich ein sanftes Gefälle zur Landstraße hinunter. Aber so sah sie es nicht vor sich. Sie sah einen Weg, der ins große Unbekannte führte, umgeben von riesigen Flächen, die ihre Füße nie betreten hatten.
Sie hatte geglaubt, dass die Welt aus einer Anzahl von Orten bestand sowie den Wegen, über die sie miteinander verbunden waren. Das war alles, was es gab, ihr kleiner Planet. Ihr war, als wäre sie bislang in einer Badebucht herumgeschwommen, und jetzt wurde sie plötzlich mitten ins Meer geworfen, und am ganzen Horizont war kein Land in Sicht. Sie bekam kaum noch Luft, klammerte sich an den Lenker und bremste. Sie rieb sich die Augen.
Ich sehe verkehrt. Ich sehe schlecht.
Sie stieg vom Fahrrad und schaute in die Richtung, aus der sie gekommen war. Der Weg schlängelte sich auf dieselbe Art voran und verschwand hinter einem Fliederbusch. Jetzt glaubte sie nicht mehr, dass sich ihr Haus am Ende des Wegs befand. Alles war ausradiert worden oder wurde hinter ihr gerade ausradiert, und sämtliche Konturen waren unscharf.
Angst ergriff ihr Herz. Sie war ein kleiner Mensch, der ins Universum geworfen war, und sie hatte keine Ahnung von nichts.
Hör auf. Was machst du?
Die Angst wurde ein wenig besänftigt. Vielleicht konnte sie sich selbst zur Besinnung reden. Sie versuchte es. Es funktionierte ein Stück weit, aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass alles hinter ihr ausradiert worden war. Sie mühte sich wieder auf das Fahrrad und fuhr nach Hause. Das Haus stand noch da.
Sie rief Johannes an und sagte, dass sie einen Platten gehabt hätte.
Das Erlebnis auf dem Weg setzte sich in ihr fest. Sie hatte zwar keine Angst davor, das Grundstück zu verlassen, sie tat es einfach nur seltener.
An einem Samstag kam Johannes zu ihr nach Hause geradelt, ohne dass sie vorher etwas abgemacht hatten. Er trug eine zerknitterte kurze Hose, die ihm bis zu den Knien reichte, und ein gelbes T-Shirt, das seine Sonnenbräune hervorhob. Teresa genierte sich fast ein bisschen, als sie sich umarmten.
Er war mit seiner Mutter eine Woche auf Mallorca gewesen,erzählte er, während Teresa hartes Brot und Erdnussbutter auf den Tisch brachte. Seine Mutter hatte einen Typ aus Norrköping kennengelernt, und jetzt war sie über das Wochenende zu ihm zu Besuch gefahren, sodass Johannes frei wie ein Vogel war. Konnte er vielleicht bei ihr übernachten?
Teresa war nicht auf diese Störung ihrer gewohnten Abläufe vorbereitet und antwortete ausweichend, dass sie erst ihre Eltern fragen müsse. Als sie sich am Küchentisch gegenübersaßen, machte sie zum ersten Mal die Erfahrung, dass sie in Johannes’ Gegenwart nicht mehr wusste, was sie sagen sollte. Als wäre er aus einer anderen Welt gekommen. Der Welt außerhalb ihres Grundstücks.
Die Situation wurde von Olof gerettet, der hereinkam, um sich ein paar Scheiben Brot zu schmieren, und nach einer Weile hatten er und Johannes sich in ein Gespräch über Runescape vertieft. Als Olof auf der Toilette war, fragte Johannes: »Sollen wir baden fahren?«
»Nee, ich habe keinen Badeanzug.«
»Wir können doch nackt baden.«
Teresa hätte gerne sämtliche Ersparnisse dafür hergegeben, wenn ihr das, was jetzt folgte, erspart geblieben wäre. Sie lief über das ganze Gesicht rot an und starrte zu Boden. Sie hörte Johannes verächtlich schnaufen.
»Komm schon. Wir haben die ganze Sache doch abgehakt, oder?«
»Klar, aber …«
Dieser Kuss. Teresa hätte nie gedacht, dass Johannes sich daran erinnerte, aber es war ganz offensichtlich der Fall, was sie nur noch mehr genierte. Sie wollte aus ihrer Haut kriechen und zu einer Pfütze zusammenschmelzen. Nur um sich abzulenken, schmierte Teresa sich noch ein Brot. Das Messer schabte trocken über die Scheibe, als sie mit übertriebener Sorgfalt versuchte, die Erdnussbutter bis an die Rinde heranzustreichen. Sie biss in das Brot, und es krachte laut in den Ohren. Johannes sah sie an, und sie schaute aus dem Fenster.
Als Olof wiederkam und Johannes fragte, ob sie eine Runde Runescape spielen wollten, warf er einen fragenden Blick zu Teresa hinüber, die mit den Schultern zuckte. Sie setzten sich an den Computer im Wohnzimmer, und Teresa schaute zu, während sie sich dabei abwechselten, Monster und böse Zauberer totzuschlagen.
Es kam gar nicht dazu, dass sie Maria und Göran fragten, ob Johannes über Nacht bleiben dürfe. Er aß mit ihnen zu Abend und
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