Wolfskrieger: Roman (German Edition)
Kristallsplitter in den zartblauen Himmel. Nebel kam auf und verflog, das mächtige Küstengebirge wuchs und verschwand am Horizont. Die Temperatur fiel, als sie an der Küste entlang nach Norden fuhren. Es wurde nicht eiskalt wie auf den schneebedeckten Bergen, aber empfindlich kühl und klamm.
Echte Dunkelheit gab es hier nicht mehr, ständig war sie den lüsternen Blicken der Dänen schutzlos ausgeliefert. Nur der seltsame Fremde mit den spitz gefeilten Zähnen und der Trommel schien zwischen ihr und ihnen zu stehen. Sie hatte kein Ruder und kein Segel, mit dem sie sich warmarbeiten konnte, und musste ängstlich im Bug kauern und frieren. Der Mann mit der Trommel versuchte, ihr zu helfen, doch es war ihr unangenehm, wenn er sie in den Arm nahm. Er war hässlich, ängstigte sie und stank nach Fisch. Wenigstens näherte er sich ihr nicht aus Begierde. Er nahm sie in die Arme und drückte sie.
Sie wehrte ihn ab.
»Dann friere meinetwegen«, sagte er.
Er brachte ihr etwas zu essen – Fisch aus dem Kochtopf des Schiffs, das Fleisch von Rentieren, die sie jagten und brieten, wenn sie am Ufer lagerten. Er war mit seinem kleinen Bogen, einem seltsamen, gedrungenen Ding, ein hervorragender Schütze. Das Rentier, das er zum Boot mitbrachte, war mit einem einzigen Pfeil erlegt worden, der direkt hinter dem Ohr steckte. Es hatte keine anstrengende Hetzjagd gegeben, und das Fleisch war zart und schmeckte gut.
Am Strand lag der Fremde in einem behelfsmäßigen Zelt neben ihr und brachte sie um den Schlaf, wenn er sie mit seinen seltsamen blauen Augen betrachtete. Andererseits beschützte er sie mit dem großen Messer, das an seinem Gürtel hing.
Bald wanderte die Mitternachtssonne von der Seite des Schiffs zum Heck. Sie fuhren durch Inselgruppen, kaum mehr als große Felsen, die sich abrupt aus dem Wasser erhoben, vorbei an riesigen Buchten und weiten silbernen Stränden, über denen Seeadler durch den strahlenden Himmel zogen. Gewaltige Kiefernwälder wuchsen auf mächtigen Abhängen, und wo die Berge sich teilten, sah man unendliche grüne Ebenen.
So sollte das Ende der Welt aussehen, und wenn der Nebel das Boot einhüllte, fragte sie sich, ob dies vielleicht der Weg nach Niflheim war, in die neblige Hölle, von der ihre Mutter ihr früher erzählt hatte. Die Länder der Menschen hießen aus gutem Grund Mittelerde. Es gab noch andere Reiche, die den Göttern und den Riesen vorbehalten waren. Dort hatten Sterbliche wie sie nichts verloren. Fuhr das Langschiff etwa in eine dieser Regionen?
Haarik kam und setzte sich neben sie. Er hatte die ganze Reise über kein Wort mit ihr gesprochen, doch jetzt plagte ihn die Langeweile. Das Segel trieb das Schiff mühelos voran, und die meisten Besatzungsmitglieder schliefen. Er hatte nichts Besseres zu tun und fasste sie am Kinn, um ihr Gesicht zu sich zu drehen. Dann blickte er zu seinen Männern. Keiner achtete auf sie. Er ließ sie los.
»Ich vermisse meine Frau«, sagte er. Normalerweise hätte Adisla seinen starken Akzent und die gebrochene Sprechweise lustig gefunden. In Eikund war einmal ein Künstler aufgetaucht, der die Dänen sehr gut nachahmen konnte. Haarik erinnerte sie an diese Parodie. Im Moment fand sie ihn vor allem grotesk.
»Du hättest deine Leibwache mitbringen sollen. Kampflos wirst du mich nicht bekommen, und du bist alt und gebrechlich.«
Der König lachte.
»Zum Reden brauche ich dich«, sagte er. »Zum Reden. Die Gesellschaft von Kriegern ist wunderbar, aber manchmal braucht ein Mann auch sanftere Worte, richtig? Nun ja, ich jedenfalls. Weißt du, warum du hier bist?«
»Ich nehme an, du willst mich verkaufen.«
»In gewisser Weise bist du schon verkauft«, sagte er. »Oder sagen wir mal, es war ein Austausch, auch wenn es ein ungerechter Handel zu sein scheint.«
Adisla sah ihn an. Haarik war kein grober und unangenehmer Mann. Er hatte sogar etwas Väterliches an sich – nicht wie ihr richtiger Vater, sondern wie derjenige, den sie gern gehabt hätte. Zugleich hasste sie ihn auch. Er und seine Männer hatten ihren Bruder getötet, sie aus der Heimat verschleppt und ihre Mutter zum Tode verurteilt. Dennoch wollte sie herausfinden, was mit ihr geschehen würde. Also beschloss sie, so höflich wie möglich zu sein, was in diesem Fall bedeutete, dass sie schwieg.
»Du sollst gegen meinen Sohn eingetauscht werden«, fuhr er fort, »auch wenn ich mich frage, warum ich mir überhaupt die Mühe mache. Vielleicht hätte ich dich als meine Erbin einsetzen
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