Wolfskrieger: Roman (German Edition)
um zu verdeutlichen, dass es ein weiter Weg war.
Vali wartete nicht länger. Er stand sofort auf und entfernte sich in die betreffende Richtung, doch der Mann rief ihm etwas in seiner unverständlichen Sprache hinterher. Der Prinz drehte sich um, und der Mann deutete auf ihn, dann auf sich selbst, dann wieder nach Osten.
»Willst du mich dorthin führen?«, fragte Vali und wiederholte die Gesten.
Der heilige Mann nickte langsam und verschwand im Zelt.
38
Was im Innern ist
Z um ersten Mal, seit die Wanderer sich im Süden auf den Weg gemacht hatten, ging die Sonne wieder vollständig unter. Der Herbst kam, und bald würde der Winter folgen. Feileg konnte schon beinahe das Eis in der Luft schmecken.
Er hatte Schüttelfrost und bibberte vor Kälte. Sie brachten ihn nach draußen unter den weiten Sternenhimmel und legten ihn neben ein Feuer. Er roch die Kälte des Grases, doch die Flammen waren angenehm und hielten ihn warm. Ein kleines Mädchen streichelte ihm den Kopf, die Mutter brachte ihm Decken. Neben ihm bauten sie einen kleinen Tisch aus einem Baumstumpf auf und legten einen Stein und einen geschnitzten Stock darauf, der einen Mann darstellte. Sie stellten ihm Käse und Fleisch hin. Auch Tannenzweige gaben sie ihm. Das Rentier wurde in der Nähe angebunden. Der Rentiermann kam zu Feileg und berührte seine Wunde. Die Schmerzen schossen durch Feilegs Körper, und der Mann hatte Blut an den Händen. Dann stand er auf und ging zum Rentier, um ihm das Blut auf den Kopf und den Rücken zu schmieren.
Irgendwo köchelte etwas in einem Topf. Es war kein Essen, sondern hatte einen bitteren Geruch, den Feileg überhaupt nicht mochte.
Auch Vali saß da, blickte nach Osten, redete mit niemandem und antwortete nicht, wenn jemand ihn ansprach.
Einer der Jäger schöpfte einen Becher aus dem Topf und hielt ihn Feileg an die Lippen. Er schluckte und erkannte den Geschmack – es war dem Gebräu ähnlich, das Kveldulf ihm während der Rituale eingeflößt hatte. Das Getränk, das die Tür zu seiner Wolfsnatur aufstieß.
Der Rentiermann trank auch selbst und ließ den Becher herumgehen. Er ging zu Vali und bot auch ihm etwas an, doch Vali war abwesend und reagierte nicht. Beharrlich drückte der Rentiermann dem Prinzen den Becher an die Lippen. Auf einmal kam Vali zu sich, nahm den Becher und trank ihn aus.
Dann setzte das Trommeln ein, und der Rentiermann trug einen rauen, aber schönen Gesang vor. Ein Jäger begleitete ihn mit einer kleinen Knochenflöte. Feileg verlor sich in der Musik. Das Trommeln und der Gesang gingen endlos weiter, der Gesang hob und senkte sich wie das Meer oder wie die Stimmen seiner Wolfsbrüder in den Bergen.
Der Himmel war weit und schön anzusehen. Feileg konnte helle Streifen aufblitzen sehen. Er betrachtete die Menschen, die ihn umgaben und für ihn sorgten und dachte, sie seien seiner eigenen Familie sehr ähnlich. Das Gesicht seiner Mutter erschien ihm, wie sie sich über ihn beugte und ihm erklärte, es täte ihr leid, dass sie ihn fortgeschickt habe, und er könne jetzt nach Hause kommen.
Der Rentiermann war immer da, aber es war gar nicht der Rentiermann. Er war ein Rentier, und sein Geweih war aus Sternen gemacht. Noch jemand anders war da. Es schien, als hätten die Sterne eine feste Form angenommen und seien in der Gestalt eines Mannes auf die Erde gekommen, der auf einem Pferd aus Sternen ritt und auf einen Bogen aus Sternen einen Pfeil gelegt hatte, der ein Komet war.
»Ruohtta … Ruohtta … Ruohtta …«
Der andere Jäger drückte das empört blökende Rentier zu Boden. Dann schrie das Tier auf, und es klang, als benutzte jemand eine Säge. Sie drückten Feileg etwas in die Hände – zwei Geweihstangen. Er hielt sie so, wie es ihm der Rentiermann zeigte. Dabei ging der Gesang unablässig weiter. Er sah, wie der Mann der Sterne den Bogen hob, doch er zielte nicht auf ihn. Nun erkannte er die Gestalt als das, was sie war – ein Gott des Todes, der ihn hatte holen wollen, doch die Jäger hatten ihn überlistet. Der Kometenpfeil raste zu dem Rentier. Es stieß noch einen letzten entsetzlichen Schrei aus und blieb still liegen.
Feileg zitterte. Die Frauen und die Kinder legten sich dicht neben ihn und wärmten ihn, um die Fieberkälte zu vertreiben, doch der Gesang hörte nicht auf. Der Mann der Sterne war nicht fortgegangen, sondern legte einen weiteren Pfeil auf den Bogen, was aber keiner der Jäger zu bemerken schien.
Vali lauschte genau auf die Trommeln. Sie waren
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