Wolfskrieger: Roman (German Edition)
getragen, die sich aber von dem Fell, das Feileg trug, unterschieden hatten. Hier waren es aus biegsamen Zweigen geschickt geformte Objekte, die Bären oder Wölfen, manchmal auch einem Vogel, einem Rentier oder einer Robbe nachgebildet und mit Pelz oder Federn geschmückt waren, um eine abschreckende, einschüchternde Wirkung zu erzielen. Die Männer trommelten, sangen und beäugten sie genau, rührten sie aber nicht an und taten ihr nichts.
Haarik hatte genaue Anweisungen bekommen, wo er seinen Sohn finden konnte, und wusste zudem, dass ihn ein Späher vom Festland aus beobachtete und jederzeit bereit war, auf einem Rentier loszureiten und die Hinrichtung des jungen Mannes zu veranlassen, falls der Vater zu einer Hinterlist griff. Die Walmänner hatten schon vorher mit Nordmännern zu tun gehabt und achteten sehr darauf, Eide zu verlangen, dass ihnen nichts geschehen würde, nachdem sie Haariks Sohn freigelassen hatten. Trotz seiner gewalttätigen Reden war der König froh, als er abreisen konnte. Wie alle Krieger verabscheute er die Magie und wollte einfach nur seinen Sohn abholen und sich möglichst schnell möglichst weit von der Insel entfernen.
Die meisten Walmänner verließen kurz darauf den Fels – darunter auch der Zauberer, der mit ihr gereist war –, doch Adisla blieb bei der alten Frau, die für sie sorgte, und in der schweigsamen Gesellschaft eines Mannes namens Noaidi. Selbst für einen Walmann war er sehr klein. Er hatte dunkle Haare und strahlend blaue Augen, häufig trug er eine Wolfsmaske, wenn er sich über den Fels bewegte. Nachts ging er meist an der Seite, wo das offene Meer war, zum Wasser und setzte sich vor die Mündung einer riesigen Höhle, um auf seiner Trommel zu spielen und Lieder zu singen, die das Heulen des Windes nachzuahmen schienen. Noaidi sagte tagelang kein Wort zu ihr. Dann, nach einer Woche, wurde ihr klar, dass sie ihn auch von sich aus nicht angesprochen hatte.
Eines Abends, als er nicht zum Singen wegging, konnte Adisla beobachten, wie er die Wolfsmaske abnahm und in sein Zelt kroch. Sie folgte ihm und kniete vor dem Eingang nieder. Er lag auf einigen Fellen, und das kleine Feuer, das er drinnen unterhielt, war heiß wie die Glut einer Schmiede. Im Feuerschein und ohne die Maske bot er einen erschreckenden Anblick. Er war vermutlich um die fünfundzwanzig Jahre alt, aber schrecklich ausgemergelt, die Wangen eingefallen und die Augen gerötet. Zuerst schien er sie kaum zu bemerken. Er zitterte stark.
»Warum bin ich hier?«
Noaidi sah sie an. »Es tut mir leid.« Er musste offensichtlich lange nachdenken, um sich an die Worte zu erinnern, und sprach Norwegisch mit einem starkem Akzent, der Adisla eher an eine Katze als an einen Menschen erinnerte.
»Du beherrschst unsere Sprache.«
»Ich kenne dein Volk. Viel zu gut.« Er lächelte kurz, und da sah sie, dass er wohl sehr krank war.
»Warum bin ich denn nun hier?«
Der Mann überlegte, hustete und trank einen Schluck Wasser aus einem Becher. Dann winkte er sie in das winzige Zelt herein. Sie folgte der Einladung und setzte sich dicht vor das lodernde Feuer. Es war ungemütlich, doch sie wollte Antworten von ihrem Häscher hören. Anscheinend war dem Zauberer immer noch kalt. Er lächelte und schien sich nun sogar zu freuen, dass er mit jemandem reden konnte, obwohl er rasch außer Atem geriet und nur langsam und stockend sprach.
»Ich will dich nicht anlügen. Wir haben in unseren Visionen eine Erscheinung gesehen, die uns großes Leid antun wird. Es war Jabbmeaaakka, die Totengöttin, die Herrin der dunklen Orte und der dunklen Winkel im Geist. Die Prophezeiung war klar: Sie wird uns zerstören. Also griffen wir sie vorher an, hatten aber keinen Erfolg. Vor einem Jahr traf die Erscheinung auf einen unserer Männer in der Unterwelt. Ich meine die Unterwelt hier drinnen.« Er tippte sich an den Kopf. »Sie hat ihn getötet. Einfach so.« Er wedelte mit einer Hand, als wollte er eine Fliege verscheuchen. »Wir haben aber herausgefunden, dass die Erscheinung eine mächtige Magie wirkte. Sie hatte schon Jahre vorher damit begonnen, bevor ihr selbst überhaupt bewusst war, dass sie es tat. Jetzt versuchen wir, diese Magie gegen sie selbst zu verwenden. Deshalb haben wir dich hergeholt.«
»Warum mich?«
»Hier drinnen«, wieder tippte er sich an den Kopf, »haben wir gesehen, dass du die beste Möglichkeit bietest, die Magie abzuwenden. Ihre Waffe wird unsere Waffe sein. Wir brauchen eine mächtige Magie, um dies zu
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