Wolfskrieger: Roman (German Edition)
nach dem Höllenhund in der Unterwelt Hel, und schließlich, weil Disa Einwände erhoben hatte, verfielen sie auf »Töle«. Auch Vali neckte sie manchmal damit, wenn er sie besuchte, doch wenn sie allein waren, benutzte er immer ihren richtigen Namen.
Vali fühlte sich hier wohl – der Rauch, der gutes Essen verhieß, stieg vom Dach auf, vor seinen Füßen rannten Hühner herum, und die Hunde kamen heraus, um ihn lautstark zu begrüßen, statt ihn zu verbellen.
Eigentlich war sein Platz in der großen Halle von König Gabelbart unten im Hafen, doch seit er nach Rogaland gekommen war, hatte Vali sich vor allem in Mutter Disas Haus heimisch gefühlt und bei ihr mindestens so viel Zeit verbracht wie am Hof des Herrschers.
»Mutter!«, rief Vali. Die Frau, die getrocknete Kräuter vom niedrigen Dach der Hütte heruntergeholt hatte, drehte sich zu ihnen um.
»Na, was hast du heute wieder angestellt?«, fragte Disa. Im Gegensatz zu ihrer Tochter war sie braun wie gebackene Gerste. Irgendwann hatte sie beschlossen, dass sie für Männer sowieso nicht mehr anziehend sei, und aufgehört, die Salben anzuwenden, die ihre Haut schön und hell hielten. Disa war von ihrem Mann geschieden, und da er ein Raufbold war, hatte die Versammlung verfügt, dass sie den Hof behalten durfte. Ein Jahr nach der Trennung war er bei einem Überfall, bei dem er sein Vermögen hatte vergrößern wollen, ums Leben gekommen, und sie hatte nicht um ihn getrauert. Jetzt war sie die Königin in ihrem Haus, in dem sich ihre eigenen und die Kinder der benachbarten kleinen Gehöfte tummelten.
An Sommerabenden saß Vali gern mit Adisla und den Kindern draußen und spielte ein Brettspiel, das »Hnefatafl« hieß, oder sie erzählten einander Geschichten und aßen, was Disa auf ihrem unvergleichlichen Herd zubereitete. Dort bekam er sogar eine Art Bildung. Der alte Barth, Disas einziger Diener, war bei einem Scharmützel mit den Dänen gefangen worden. Vali fand seinen fremden Akzent faszinierend und bat ihn oft, von seiner Heimat und deren Gebräuchen zu erzählen. Barth war auch in Dänemark schon ein Sklave gewesen. Wie sich herausstellte, betrachtete er Disa als gute Herrin im Vergleich zu dem dänischen Jarl, dem er vorher gedient hatte.
Im Winter quetschten sich alle in die winzige verräucherte Hütte, aßen gebackene Wurzeln und Pökelfisch und lachten, bis sie es nicht mehr aushalten konnten. Adislas Brüder mochte er sehr, besonders Leikr und Manni, den Jüngsten. Auf der Jagd, beim Spiel und beim Erzählen waren sie ihm die besten Freunde.
»Frau«, sagte Bragi, »ich muss mit dir über deine Tochter reden.«
»Ach ja?«
»Du musst ihr verbieten, sich mit dem Prinzen zu treffen.«
»Es ist nicht meine Art, meinen Kindern etwas zu verbieten«, sagte Disa, »aber ich rede mit ihr.«
»Sie ist kein Kind mehr, sie ist mindestens dreizehn. Manche Mädchen sind in ihrem Alter schon ein Jahr verheiratet, was oft ein Segen ist.«
»Was gibt es denn überhaupt?«
Bragi hob hilflos beide Hände und stieß eine Art Zischen aus, als wäre der mit Klagen gefüllte Kessel, den er mit sich herumtrug, endlich übergekocht. Trotzdem gelang es ihm, höflich zu bleiben und zurückhaltend zu sprechen, um mit schönen Worten den Unterschied zwischen ihm selbst und den Bauersleuten zu betonen.
»Das will ich dir erklären. Ich habe einen Eid geschworen und bin ein Anhänger von König Authun, dem Weißen Wolf. Ich bin ein Veteran und habe an dreiundzwanzig Raubzügen teilgenommen. Ich habe in Orestrond Seite an Seite neben dem König gegen die Geats gekämpft, als wir hoffnungslos unterlegen und bereit waren zu sterben. Mit diesem schrecklichen Herrn zusammen habe ich zwanzig Feinde niedergemacht und mit blutrotem Schwert den Rückweg zum Meer gefunden, wo wir in die Boote steigen konnten …«
Disa musste sich ein Lächeln verkneifen, denn hinter Bragi führte Vali die Geschichte als Pantomime vor. Er hatte sie schon hundertmal auf hundert verschiedene Weisen gehört – prahlerisch beim Umtrunk in der Halle, geflüstert am Lagerfeuer, laut gerufen, damit er sich ein Beispiel nehme. Er kannte sie auswendig.
»Ich bin ein Krieger, und es war mir eine Ehre, als ich für diesen Jungen zum Leibwächter und Lehrer bestimmt wurde. Ich stelle jedoch fest, dass sich diese Aufgabe in eine schwer zu tragende Bürde verwandelt. Ich fühle mich wie Loki, an den Fels gefesselt und die Augen voller Gift. Er fügt sich einfach nicht, Herrin, und deine Tochter
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