Wolfskrieger: Roman (German Edition)
Bogen?«
»Sie müssen hier irgendwo sein. Ich habe sie am Fluss liegen lassen, als ich Adisla erblickt habe.«
Bragi, ein etwa fünfunddreißig Jahre alter, von vielen Schlachten vernarbter Krieger, schüttelte den Kopf.
»Du darfst nie die Waffen weglegen, das weißt du doch. Was wirst du tun, wenn die Zeit kommt, dass du auf einen Raubzug mitfährst, und das wird schon bald geschehen? Lässt du den Schild und das Schwert auf dem Schiff zurück, sobald du ein hübsches Mädchen siehst?«
»Das wird er vermutlich tun«, meinte Adisla.
»Du, meine junge Dame, du hältst den Mund. Schau dich nur an, bleich wie eine Prinzessin. Ein Bauernmädchen wie du sollte doch wohl einige Spuren von ernsthafter Arbeit vorweisen können.«
»Diese Unterhaltung ist anstrengend genug, das sollte für ein ganzes Leben reichen«, widersprach Adisla.
»Jetzt habe ich aber genug«, verkündete Bragi. »Ich werde mit deiner Mutter sprechen.«
Das Mädchen zuckte wenig beeindruckt mit den Achseln.
Bragi zeigte mit dem Finger auf sie.
»Ich meine es ernst«, drohte er. »Ich werfe dir vor, was ihm geschehen ist. Er war recht vielversprechend mit den Waffen, doch dann begann er, den Hof zu meiden und sich mit Bauernmädchen herumzutreiben. Jetzt liegen seine Waffen vergessen am Fluss, er hockt im Haus deiner Mutter und vergeudet seine Zeit mit Spielen und Reden. Der Sohn von Authun dem Weißen Wolf ist ein Aschefresser geworden!«
Vali lachte. Über diesen Ausdruck hatte er sich schon oft gewundert. Aßen die Aschefresser wirklich die Asche des Feuers? Wenn das zutraf, dann war er keiner. Wenn es aber bedeutete, dass er sich am Herd am wohlsten fühlte, wo er neben Adisla sitzen und den Geschichten der Bauern zuhören konnte, dann entsprach es der Wahrheit, dann war er ein Aschefresser.
»Ich habe ihn aber nicht verhext«, wandte Adisla ein.
»Nein«, meinte Bragi, »nur verhält er sich gerade so. Komm, wir müssen zu deiner Mutter.«
In der warmen Sonne war es ein anstrengender Marsch das Tal hinauf bis zu Adislas Hof. Bragi ließ Vali zur Strafe beide Ranzen und alle Waffen tragen, weil er während der Jagd davongelaufen war, und als er sah, dass der Prinz immer noch leichtfüßig ging, packte er noch ein paar Steine dazu.
Adislas Mutter war Disa, eine bekannte Heilerin, die in der Heimat des Rygir-Stammes über dem rasch wachsenden Hafen von Eikund in Rogaland lebte. In den letzten Jahren war der Ort von acht auf zwölf Häuser angewachsen und galt deshalb als große Siedlung. Der Vater hatte Vali vor fünf Jahren als Faustpfand nach Eikund geschickt und damit den Friedensvertrag zwischen den Horda und den Rygir besiegelt, der einen blutigen Krieg beendet hatte.
Bragi hatte ihn begleitet, um ihn auszubilden und ihn das Jagen und den Schwertkampf zu lehren, doch es hatte sich sehr schnell herausgestellt, dass der alte Gefolgsmann und der junge Prinz nicht gut zusammenpassten. Nur wenn sie mit Valis kleiner Jolle vor der Küste segelten und Robben jagten oder angelten, kamen sie miteinander aus. Bei diesen Ausfahrten sprachen sie nicht viel. Vali war von der Sonne und dem Wasser überwältigt und genoss das Schaukeln des kleinen Bootes, das sich mit dem Wind bewegte wie ein Lebewesen. Bragi war einsilbig, weil er abergläubisch war und fürchtete, ihre Worte könnten die Fische vertreiben.
Vali schwitzte, als sie das Haus erreichten, das eigentlich kaum mehr als eine große Hütte war. Er war froh, dass Hochsommer war, weil nun die Zeit keine Rolle spielte und die Nacht nur eine kurze Phase der Dunkelheit an einem endlosen Tag war. Obwohl es schon spät war, stand die Sonne noch hoch am Himmel. Wie an jedem Sonnabend badeten die Leute unten im Fluss, der vor den Gehöften verlief. Sobald er eine Gelegenheit fand, würde er sich zu ihnen gesellen.
Er lachte, als er sich an seine erste Begegnung mit Adisla erinnerte. Nachdem er eine Woche in Eikund verbracht hatte, war im Dorf eine große Aufregung entstanden. Adisla hatte die Luft angehalten und war bis zum Grund des Flusses getaucht. Ihre Mutter war hinterhergesprungen, um das Mädchen zu retten, das gleich darauf unbändig kichernd hinter ihr wieder aufgetaucht war. Schon damals, vor fünf Sommern, konnte niemand so gut schwimmen wie Adisla. Ihre Brüder nannten sie »die Robbe«. Dies war der erste einer ganzen Reihe von Spitznamen, die überwiegend nicht gerade schmeichelhaft waren. Man bezeichnete Robben auch als »Seehunde«, daher nannte man sie manchmal »Garm«
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