Wolfskrieger: Roman (German Edition)
sondern war nur ein Schnittpunkt, der durch ein Ritual entstand, damit Hexen und Wesen aus verschiedenen fernen Reichen sich im Geiste versammeln konnten. Die Frau mit dem zerstörten Gesicht und die Hexe konnten Meilen von dem Haus entfernt sein, und doch vermochten sich ihre magischen Erscheinungen hier zu treffen.
Die Frau mit dem verbrannten Gesicht streckte die Hand zu ihr aus, und Gullveig nahm sie, als könnte sie ihr Sicherheit bieten.
Der Gott sprach zu ihr. Die Worte klangen so seltsam wie der Name, mit dem er sie rief, doch sie konnte ihn gut verstehen. »Jabbmeaaakka, der Wolf gehört uns. Wir haben deine Absicht erkannt, und du wirst scheitern.«
Zustimmendes Gemurmel erhob sich, das jedoch nicht von den Zuschauern im Raum kam. Andere arbeiteten mit dem Gott zusammen. Die Hexe hatte Angst vor ihm, glaubte jedoch, es sei noch nicht alles verloren. Wenn der Gott nicht wusste, dass er ein Gott war, dann hatte er noch nicht seine volle Kraft erlangt. Das bedeutete, dass er mit Magie besiegt oder wenigstens zurückgeschlagen werden konnte.
Sie stieß im Geist ein Rülpsen zum blauäugigen Mann aus, das giftig war und nach Verwesung, Schimmel, Würmern und den kriechenden Geschöpfen der Erde stank. Die faule Luft sollte ihn einhüllen. Eigentlich war es kein richtiger Zauberspruch, sondern nur ein Stoß mit dem Bewusstsein, ein rascher Blick auf die Orte, die sie besucht und die Dinge, die sie dort gesehen hatte. Gerade genug, um jedem das Gehirn zu braten, der nicht wenigstens einen Teil dieser Wege selbst gegangen war.
Doch es kam etwas zurück, ein Rhythmus und ein beharrliches Pochen, das ihre Gedanken trübte und eine tiefe Sehnsucht nach dem Schlaf in ihr weckte. Sie hörte einen seltsamen unmelodischen Gesang, spürte einen kalten Hauch, sah mit Schnee bedeckte Felder, über die Wesen zogen, die so dürr waren wie Runen, und sehnte sich danach, in diese Kälte hinauszutreten.
Gullveig war keine weise Frau aus einem Dorf, die Tränke braute und sang, keine Seherin und keine zerlumpte Prophetin. Sie war die Hexenkönigin der Trollwand, die Herrin der kreischenden Runen, ein Wesen, das mit der Magie geboren und in ihr aufgewachsen war. Sie ging nicht in die Kälte hinaus. Als sie dem Untergang nahe war, trat in ihr eine Rune hervor, die wie ein Speer mit schimmernder Spitze durch den klaren blauen Himmel flog.
Das Trommeln steigerte sich zur Raserei, die Rufe wurden lauter. Sie hatte den Geschmack von Asche und saurer Milch auf der Zunge, es roch nach Bestattungsfeuern, und als sie noch einmal hinsah, war der blauäugige Mann verschwunden. Hatte sie ihn getötet? Das bezweifelte sie, doch er war von anderen umgeben gewesen, und sie spürte, dass diese unter ihrem Angriff gelitten hatten.
Odin war ihr schwach vorgekommen, ganz gewiss nicht im Vollbesitz seiner Kräfte. Also konnte er sich noch nicht gegen sie wenden. Was aber hatte er getan? Das Mädchen mit dem zerstörten Gesicht saß beim Hängeritual neben ihr und streichelte ihre Hand, und sofort wusste Gullveig die Antwort. Er hatte noch nicht genug Kraft, die Hexen direkt anzugreifen, und deshalb arbeitete er dort, wo es ihm möglich war – er hatte es auf die Mädchen abgesehen, die die Runen erben sollten. Wenn sie zugrunde gingen und nicht zu Frauen heranwuchsen, würde die Überlieferung der Hexen aussterben. Am Ende würde Gullveig allein und einsam dastehen. Während seine Kraft zunahm, würde die ihre schwinden.
Sie musste die Magie beschleunigt einsetzen. Der Wolfsjunge war vorbereitet, jetzt musste er seinem heiligen Opfer begegnen, dem Prinzen.
Was ist Magie? Disa hatte versucht, den Wolfsmann mit dem Prinzen zu verbinden, und dadurch die Hexe auf den Plan gerufen. Die Hexe hatte beschlossen, es sei an der Zeit, den Spruch zu wirken und ihren Werwolf zu erschaffen, um auf diese Weise den Wolfsmann und den Prinzen zusammenzubringen. War es ein Zufall? Hatte Disas Ritual die Verbindung hergestellt, oder gehorchte Disa nur der viel stärkeren Magie der Hexe, die heimlich in ihr wirkte, ohne ins Bewusstsein vordringen zu müssen? Woben etwa die Schicksalsgöttinnen selbst die stärkste Magie, die es je gegeben hatte?
Was es auch war, Gullveigs Wunsch stimmte mit Disas Wunsch überein und fand einen Ausdruck in einem Spruch. Gullveig griff durch Disa hindurch und berührte Vali.
Mit Mühe öffnete Vali die schweren Augenlider und sah, dass Disa sich wieder wand. Sie hustete und schüttelte sich, schauderte und knurrte. Dann kam sie
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