Wolfskrieger: Roman (German Edition)
herunter und hockte sich vor Vali. Sie beugte sich vor und nahm sein Gesicht in beide Hände. Vali sah ihr in die Augen und fürchtete sich. Es war nicht Disa, die ihn anblickte, sondern ein völlig fremdes Wesen, das Kälte ausstrahlte. Auch die Hände, die sein Gesicht berührten, waren eiskalt.
Die Hexe, die am Folterfelsen hing, versuchte, ihren Spruch zu wirken, doch Disas Bewusstsein war nicht gut genug geschult, um ihre Magie weiterzuleiten, zu sehr im Alltag verhaftet. Die Heilerin musste an einen Ort gehen, wo sie ihr Alltagsbewusstsein völlig ablegen und zulassen konnte, dass Gullveig durch sie wirkte.
Vali blickte in Disas Augen und roch etwas. Es brannte. Disa hatte, wie er jetzt bemerkte, verstohlen den Saum ihres Rocks ins Feuer geschoben und versucht, sich nicht dabei erwischen zu lassen.
Der Stoff brannte, und sofort war der Raum von Licht, Bewegung und Lärm erfüllt. Jodis zog Disa mit einer Hand vom Feuer weg, und dann waren die anderen bei ihr, klopften auf ihre Röcke und versuchten, die Flammen zu löschen, doch Disa hielt sie mit einer Hand ab, streckte die andere zu Vali aus und zischelte ihm etwas zu. Zwei Männer konnten sie schließlich überwältigen, und jemand anders kippte Wasser über sie, doch Disa blickte unverwandt zu Vali.
Etwas Kaltes kroch in seinen Kopf hinein, und er hatte einen Eindruck von Feuchtigkeit und Dunkelheit. Er schrak zurück. Irgendetwas war auf ihn übergegangen, das sich anfühlte, als hätte er eine Kröte im Hals. Ein klammes, zuckendes Ding, das sich einfach nicht ausspucken ließ. Die einzige Möglichkeit, den ekelhaften Klumpen loszuwerden, bestand darin, aufzustehen und hinauszugehen. Er war unendlich müde, aber nicht schläfrig. Er richtete sich auf.
Seine Zuneigung zu Disa war wie etwas auf der Zungenspitze, das er kannte, aber wegen der Übelkeit in seinem Innern kaum noch fühlen konnte. Er musste sich bewegen, so viel war ihm klar. Das Gefühl ähnelte der Gefangenschaft im Haus während eines langen winterlichen Sturms – man wollte unbedingt hinaus und wusste doch, dass es unmöglich war –, nur viele Male stärker.
Er ging nach hinten, wo Bragi sein Schwert neben den Rucksack gehängt hatte, nahm beides an sich und ging hinaus. Niemand folgte ihm, alle waren um Disa besorgt und sahen denen zu, die sich um die Heilerin kümmerten.
Draußen herrschte die ewige Dämmerung einer nördlichen Sommernacht. Der Himmel schimmerte silbern, ein riesiger Mond hing neben einem einsamen hellen Stern. Wie Vali bemerkte, war der Mond nicht ganz voll. Ihm blieb weniger als ein Monat, um Adisla zu retten.
Eine große Krähe flatterte von einem Baum zum nächsten. Valis Körper schien auf die Bewegung zu reagieren. Trotz seiner Müdigkeit marschierte er los und wandte sich, ohne darüber nachgedacht zu haben, am Fjord entlang nach Osten. Nur die stetigen Schritte konnten die Übelkeit in ihm unterdrücken. Nach einer Weile vergaß er, dass er wanderte.
Unbewusst, ohne es zu bemerken und ohne eine Vorstellung von seinem Ziel zu haben, verließ er das Dorf und achtete kaum auf die Umgebung. Er war tief versunken und dachte an Adisla, an Disa, an die kalten Augen, die aus ihr herausgeblickt hatten, und bemerkte nicht mehr, wo er war, bis er wieder zu sich kam.
Er stand auf, schüttelte den Tau ab und sah sich um. Im Gras war eine Delle, dort hatte er wohl geschlafen. Es dämmerte schon wieder. Er überprüfte den Rucksack und das Schwert und blickte in die Ferne. Am Horizont erhob sich dunkelblau ein Gebirgszug, dorthin musste er gehen. Die Übelkeit hatte nicht nachgelassen, also verzichtete er auf Nahrung und beschloss, einfach weiterzugehen, bis er seinen Wolfsmann gefunden hatte.
Hoch über der steilen Wand eines Tals befand er sich jetzt, die nur wenige Schritte neben seinem Schlafplatz schroff abfiel. Als er nach unten spähte, entdeckte er zwei Reiter, die dort ihr Lager aufgeschlagen hatten. Die Männer hatten unter einer dicht belaubten Erle Decken ausgebreitet und ein kleines Feuer entfacht. Sie würden sich im Schutz des Baums bald schlafen legen.
Einer von ihnen war Authuns Bote Hogni. Vali blickte zu den Bergen. Mit einem Pferd käme er doppelt so schnell voran. Irgendwie spürte er, dass er verzaubert war, und fragte sich, ob dies auch der Grund für die plötzliche Klarheit seiner Gedanken sein mochte. Verlangte der Zauberspruch oder das, was ihn kontrollierte, dass er sich ein Pferd nahm, damit er schneller vorankam?
Die Männer hatten
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