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Wolfskrieger: Roman (German Edition)

Wolfskrieger: Roman (German Edition)

Titel: Wolfskrieger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. D. Lachlan
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um ihn zu finden, was sie aber nicht weiter überraschte. Wenn der Gott sich nicht einmal selbst kannte, dann musste ein Sterblicher erst recht eine ungeheure Mühe darauf verwenden, ihn zu entdecken. Sie hatte auf die alten, zuverlässigen Mittel vertraut – Meditation, Rituale und Leiden – und es geschafft. Zuerst war er ihr immer wieder entglitten, sie hatte ihn nur flüchtig wahrgenommen wie einen schimmernden Fisch im Wasser, der so schnell wieder verschwand, wie er aufgetaucht war. Doch im Laufe der Wochen und Monate hatte sie ihn im Wachen, im Schlafen und in qualvoller Versenkung aufgespürt.
    Sie sah sich selbst unter dem leeren Himmel des Nordens am Abend wandern. Als sie die hellblauen Augen bemerkte, die sie aus einem verschneiten Feld anblickten, und das Heulen eines einsamen Wolfs vernahm, war sie so entsetzt, dass die Schwestern sie aus der Versenkung weckten. In der flüchtigen Vision war ihr der Gott selbst erschienen. Mehr brauchte sie nicht. Sie hatte seine Spur gefunden.
    Die bleiche Frau mit dem zerstörten Gesicht, die sie in ihren Meditationen beobachtete, konnte sie nicht sehen und kaum spüren. Sie wusste nur, dass jemand in der Nähe war, an ihrer Seite ging, sie hasste und stets außer Sichtweite blieb. Die Gegenwart der Frau diente ihr als Führerin. Die Königin wusste nur, dass irgendjemand in ihren Meditationen mit ihr reiste und anscheinend wusste, was sie verletzen konnte. Sie hatte die steigende Erregung gespürt, als sie einen Blick auf Odin erhascht hatte. Die Hexe fand dies nicht sonderlich beunruhigend. Sie hatte ihr Leben lang mit seltsamen Wesen zu tun gehabt und Gesichter gesehen, die im flackernden Feuerschein oder als Schatten auf einem Fels erschienen waren und sie wie lüsterne Raubtiere beobachtet hatten. Im Schlafen wie im Wachen war sie den tödlichen Geistern der Dunkelheit nie sehr fern.
    Das Wesen, das ihr jetzt folgte, war wenigstens nützlich. Je stärker dessen Aufmerksamkeit wurde, desto näher war sie dem größten Unheil von allen – Odin.
    Ein Jahr, nachdem sie die Augen im Schnee erblickt hatte, führte ihre unsichtbare, hasserfüllte Begleiterin sie zu Disa und damit zurück zu ihm.
    Beinahe hätte die Hexe Disas Ruf überhört, weil sie so sehr von ihrer Suche nach dem göttlichen Feind eingenommen war. Es war der vierte Tag ihres Hängerituals. Ihre Haut war mit dicken Nadeln durchbohrt, die mit Seilen an einem Felsvorsprung befestigt waren. So hing sie in einem steil ansteigenden Tunnel über einem Geröllhang in der Nähe der Oberfläche.
    Hoch oben in der Trollwand trug ein Rauchwölkchen in der kalten Luft Disas Ruf zu ihr. Einladungen von Heilerinnen und weisen Frauen aus den Dörfern waren eine Seltenheit, denn die Einheimischen wussten genau, wie gefährlich es war, die Aufmerksamkeit der Hexen zu erregen, die sich nicht gern ablenken ließen. Als Gullveig schon drauf und dran war, den Ruf zu übergehen, erwachte das Interesse des Wesens an ihrer Seite. Anscheinend drohte dort ein Übel, und deshalb konnte es Odin sein.
    Die Hexe schwebte über den grauen Stein hinauf, ließ sich vom Rauch tragen und benutzte ihn als Straße, um die Quelle zu finden.
    Disa atmete den Rauch des mit Kräutern versetzten Feuers tief ein und nahm mit ihm das Bewusstsein der Hexe in sich auf. Sie bebte, zitterte und warf sich auf der Kiste hin und her. Es verschwamm ihr vor Augen, sie war schrecklich benommen und hatte das Gefühl, ihr eigener Körper gehörte ihr nicht mehr. Irgendein fremdes Wesen schlich durch ihren Kopf.
    Als Gullveig durch die Augen der Heilerin blickte, entdeckte sie einen Raum voller Dorfbewohner, die sie anglotzten. Auch den Jungen zu ihren Füßen bemerkte sie und erkannte ihn sofort als Bruder des Wolfs. Er war die Zutat, das heilige Opfer.
    Noch jemand anders war dort. An ihrer Seite sah sie eine Frau, an die sie sich zu erinnern glaubte. Einst eine Schönheit, doch eine Hälfte ihres Gesichts war schrecklich verbrannt. Vor ihr schwebte der Gott ohne körperliche Form, nur ein Geist in den Flammen. Er schlug mit einem Knochen auf eine flache Trommel, starrte durchdringend und trug einen blauen Hut mit vier Ecken auf dem Kopf. Die Trommel war mit Runen bemalt, die bei jedem Schlag herunterfielen, auf den Boden flatterten und sich vor seinen Füßen sammelten, ehe sie verschwanden wie die Schneeflocken an einem warmen Spätherbsttag.
    »Erhabener Odin«, sagte die Hexe.
    Sie wusste genau, wo sie war – dieser Raum existierte nicht wirklich,

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