Wolfskrieger: Roman (German Edition)
überhaupt zu bemerken. Einige Anzeichen verrieten ihm, dass er auf dem richtigen Weg war – zerrissene und weggeworfene Fußbekleidung am Wegrand, hier und dort die Spuren von Wagenrädern und Hufen.
Kaum ein Mensch begegnete ihm, abgesehen von Schäfern in der Ferne und den Bewohnern einsamer Gehöfte. Immer blies er in sein Horn, wenn er vorbeikam, damit man ihn nicht für einen Gesetzlosen hielt, doch er kehrte nicht ein. Nur die Bedürfnisse der Tiere verzögerten die Reise. Manchmal trank er, wenn sie tranken, aß aber nichts und schlief nur selten. Die Gedanken an Disas Rune hatten irgendetwas in ihm geweckt, doch Durst, Hunger und Müdigkeit taten sich zusammen und trübten seinen Verstand.
So war es kein Wunder, dass er den Wolfsmann nicht kommen hörte.
14
Der Prinz und der Wolf
F eileg hatte den Reiter schon seit Tagen beobachtet und die Stärke des Mannes eingeschätzt. In den Bergen im Landesinneren ließen sich niemals einsame Reisende blicken, und jener große Teil von Feilegs Verstand, der inzwischen zum Wolf geworden war, schöpfte Verdacht. Außerdem folgte der Reiter nicht dem Handelsweg, sondern war zwei Tagesmärsche in nördlicher Richtung davon abgewichen und zog oberhalb der Baumgrenze durch eine schmale dunkle Schlucht, in der ein kleiner Bach plätscherte. Alle Tiere sind misstrauisch, wenn ihnen etwas begegnet, das sie nicht kennen, und Feileg bildete keine Ausnahme. Von dem Mann im Tal schien allerdings eine einzigartige Bedrohung auszugehen.
Unter anderen Begleitumständen hätte er einfach über die Berge hinweg Kveldulf gerufen, doch der Gestaltwandler war, wie er es gelegentlich tat, für mehrere Tage verschwunden. Feileg hatte nur drei Wölfe des Rudels bei sich. Natürlich wollten die Wölfe und Feileg die Pferde erbeuten. Dazu sollten sie am besten abwarten, bis der Mann schlief. Ohne Feilegs Hilfe hätten die Wölfe darauf hoffen müssen, dass sich eins der Tiere in der Nacht ein Stück entfernte, was aber vielleicht gar nicht geschehen würde.
Die Geschichten über Wolfsmänner, die Reisende in ihren Lagern angegriffen hatten, entsprachen nur zum Teil der Wahrheit. Sie taten es jedenfalls nicht gern und gewöhnlich auch nur im Sommer. In den hungrigen heißen Monaten, wenn die Tiere schnell rannten und die Beeren noch nicht an den Sträuchern gereift waren, mussten Kveldulf und Feileg das Essen nehmen, wo sie es fanden.
Einheimische Händler wunderten sich, wie das Walvolk ganz im Norden über Land reisen konnte, ohne von den Wolfsmännern behelligt zu werden, und stellten sich vor, diese Leute hätten einen Talisman oder einen Zauber, der sie beschützte. In Wirklichkeit war es viel einfacher. Die Walmenschen wurden oft von Bären behelligt und bewahrten ihre Vorräte deshalb ein gutes Stück von den Lagern entfernt auf. Sie hängten sie portionsweise in die dünnsten Zweige der Bäume. Die Wolfsmänner kämpften nur, wenn Reisende sie beim Stehlen des Proviants und der Tiere erwischten. Die Walmenschen verloren manchmal etwas zu essen, aber nie ihr Leben.
Feileg wartete, dass der Reiter einschlief, doch er schlief nicht; zumindest war Feileg seiner Sache nicht ganz sicher. Als die bleiche graue Dämmerung kam, stieg der Mann ab, versorgte die Pferde und setzte sich auf den Boden. Er hielt sein Schwert fest und wiegte sich hin und her. Feileg hatte nur wenige Menschen mit schwarzen Haaren gesehen und noch weniger, die besser für ihre Tiere sorgten als für sich selbst, aber bisher war ihm noch niemand begegnet, der niemals aß. All dies hatte aber nichts mit dem Unbehagen zu tun, das er empfand, wenn er aus seinem Versteck die Gestalt unter sich betrachtete.
Feileg hatte aus seiner Zeit bei den Berserkern noch einige schwache Erinnerungen an die Magie, doch nachdem er so lange mit Kveldulf zusammengelebt hatte, war sie für ihn nichts mehr, das sich in irgendeiner Weise von allen anderen Arten des Daseins unterschied. Die Tatsache, dass er sich in Trance versetzen und wie ein Wolf Spuren lesen, laufen und kämpfen konnte, war für ihn so selbstverständlich wie der Bach, der einen Berg herabströmte oder der Kreislauf von Geburt und Tod, dem Menschen und Tiere unterworfen waren. So selbstverständlich wie der Atem, der Aufgang und Untergang der Sonne und des Mondes oder die Gezeiten. Für Feileg war die Schöpfung ein Rhythmus, mit dem er sich in Ritual und Meditation verbinden konnte, wenn er die Rassel und die Trommel schlug. Dieser Mann da unten im Tal war
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