Wolfskrieger: Roman (German Edition)
auf dem Rücken, und der Wolfsmann beschloss, sich anzuschleichen und ihm den Hals umzudrehen.
Auf einmal hörte er ein gedehntes, tiefes Knurren. Der Wolfsmann sah sich verwirrt um. Er selbst war es nicht gewesen. Es war auch kein natürliches Geräusch, und es lief ihm kalt den Rücken hinunter. Er schwitzte am ganzen Körper, alle seine Sinne schrien ihm zu, dass er in Gefahr schwebte. Wieder ertönte das Knurren. Es war noch tiefer als vorher, als kratzte Stein auf Stein.
Feileg legte sich flach auf den Boden. Zum dritten Mal vernahm er das Geräusch, das beinahe klang, als dränge es aus der Erde empor. »Adisla.« Feileg schaute auf. Das Geräusch kam von dem schlafenden Mann. Er schnarchte. Feileg erinnerte sich an die Hütte der Berserker, in der er aufgewachsen war. Seine Erinnerungen an jene Zeit waren blass – die dunkle Hütte, der Geruch der Röcke seiner Mutter, die Mädchen, die er für seine Schwestern gehalten hatte, jagten ihn im Spiel. Nur ein Ereignis stach hervor. Besonders, wenn er betrunken gewesen war, hatte der Mann, den er Vater genannt hatte, so laut geschnarcht, als donnerte es. Die Kinder hatten ihm Federn auf die Lippen gelegt und gelacht, wenn er sie hochgepustet hatte. Feileg erinnerte sich, dass eines der Mädchen eine Feder hinter ihn gelegt hatte, um zu sehen, ob sie sich auch bewegte, wenn er furzte. Sie hatte sich tatsächlich bewegt, und Feileg hatte gedacht, er könnte nie mehr aufhören zu lachen. Jetzt betrachtete er den schlafenden Vali und vernahm ein anderes seltsames Geräusch. Es klang wie das Glucksen eines Bachs. Dann wurde ihm bewusst, dass er es selbst hervorbrachte. Er kicherte. Das hatte er schon lange nicht mehr getan.
Als er lachte, kehrte ein Stück seiner Menschlichkeit zurück, auch wenn es nur eine flüchtige Belustigung über einen Schabernack war. Jedenfalls fühlte er sich mit dem schnarchenden Mann verbunden und verspürte beinahe das Bedürfnis, ihn zu wecken und ihm zu sagen, wie laut und wie komisch die Geräusche waren, die er von sich gab. Doch Feileg musste ihn töten. Allerdings hatte sein Gekicher die Konzentration – jene, die nichts über die Wolfsmänner wussten, nannten sie Raserei – zerstört. Er sah Vali genau an. Feileg hatte seit seinem sechsten Lebensjahr sein eigenes Gesicht überhaupt nicht mehr und auch vorher nur selten gesehen. Höchstens, dass er einmal auf die glänzenden Schwertklingen geblickt hatte, nachdem er sie den Reisenden weggenommen hatte. Deshalb fiel ihm die Ähnlichkeit nicht sofort auf, doch aus irgendeinem Grund hatte er Hemmungen, den Mann einfach umzubringen.
Feileg hockte eine Weile neben den Füßen des Mannes und betrachtete ihn genau. Er hatte – durch Rituale, durch den Genuss seltsamer Pilze, durch Entbehrung und Mangel an Übung – die Fähigkeit verloren, in Worten zu denken. So kam ihm eine gestaltlose, schleichende Eingebung, als er Valis gekämmtes und geschnittenes Haar betrachtete, das gute Schwert, das neben ihm lag, die kräftige Farbe seines Wollmantels. Er hätte nicht ausdrücken können, was er dachte, doch das nahm dem Eindruck nicht die Kraft. Er war es selbst, der da lag. So hätte er sein können, wenn die Nornen ihm einen anderen Lebensstrang gewoben hätten. Der Mann hatte ein Wort gesagt: Adisla. Feileg erkannte es instinktiv sofort als das, was es war: der Name eines Mädchens. Er war nicht unglücklich oder hatte wenigstens kein Gefühl, das er in dieser Weise deuten konnte, fühlte sich aber ein wenig unbehaglich mit dem Weg, den die Nornen ihm vorgegeben hatten.
Er atmete tief ein und roch etwas Süßes und etwas Ranziges. Als sein Blick auf Valis Rucksack fiel, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Vorsichtig öffnete er ihn an der Seite, nahm den Proviant heraus und begann zu essen, ohne darüber nachzudenken, was er gefunden hatte. Er verschlang den Honig, das altbackene Brot und den Käse, dann die Berserkerpilze und den Langwurz. Der Geruch des Wolfswurz konnte ihn nicht abhalten, und das Schlafmittel schmeckte süß. Er schluckte alles und schob die Zunge in den kleinen Napf, um die letzten Tropfen herauszuholen. Dann aß er die Minze und leerte Valis Weinschlauch. Er fühlte sich friedlich, warm und entspannt.
Oben im Tal heulten die Wölfe, doch er schaffte es nicht mehr, ihnen zu antworten. Disas Gebräu für die weißen Nächte hatte die Welt weich gemacht. Feileg legte sich ins Gras und schlief.
15
Ein Gefangener
V ali glaubte zu träumen. Als er aufwachte,
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