Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
leises Rauschen und ein eintöniges »Piep«. Das war »unsere« Wölfin. Momentan schien sie zu schlafen.
Wir teilten uns auf. Jeweils zwei von uns übernahmen zusammen mit einem von Mechs Studenten eine Schicht von vier Stunden. Ich meldete mich mit Peter für die Nachtschicht. Wir tranken Kaffee, um wach zu bleiben, und beobachteten die Monitore. Peter hielt seine Kamera fest umklammert, als könne er damit das Erscheinen der Wölfin beschleunigen.
Plötzlich veränderte sich das Geräusch. Schlagartig waren wir hellwach. Nummer 369 war aufgestanden – und bewegte sich auf uns zu.
»Wo ist sie? Wo ist sie? Siehst du was?« Peter sprang aufgeregt im Wagen hin und her, die Kamera im Anschlag.
»Schhh…, du vertreibst sie noch. Sei doch leise!«
Wir verglichen Radiofrequenz und Karte. 369 musste sich direkt gegenüber von uns auf der anderen Straßenseite befinden. Wir verrenkten uns fast die Hälse und schauten angestrengt in die Dunkelheit. Nichts! Wie soll man auch einen schwarzen Wolf in stockdunkler Nacht erkennen? Da, eine Bewegung. Nur ein Vogel.
Später zeigte die Sendepeilung, dass die Wölfin genau zu diesem Zeitpunkt an unserem Auto vorbei über die Straße gelaufen war. Und wir hatten nichts bemerkt. Die Enttäuschung war greifbar. Zu gern hätten wir das Tier gesehen, das uns schon so vertraut war.
Ich versuchte, dem Ganzen etwas Gutes abzugewinnen. »Wir sollten froh sein, dass die Wölfin so scheu ist. Wenn sie weniger Angst vor Menschen hätte, könnte das ihren Tod bedeuten.« Zwar standen Wölfe in Amerika unter gesetzlichem Schutz, aber sie hatten überall Feinde. Viehzüchter sahen in |52| ihnen eine Konkurrenz, die ihre Rinder fraß. Trophäenjäger schmückten sich nur zu gern mit einem Wolfskopf an der Wand oder einem Fell als Bettvorleger. Es gab genügend Menschen, die Wölfe lieber tot als lebendig sahen. Oft genug war das Einzige, was die Forscher des Wolf Center von einem Wolf fanden, ein zurückgelassenes Radiohalsband und ein paar Blutspuren. Auch unsere Wölfin 369 wurde drei Monate später erschossen aufgefunden. Wir hatten sie nie zu Gesicht bekommen.
Diese erste (Nicht-)Begegnung mit der Wölfin gab mir einen kleinen Einblick in das vorsichtige Verhalten der Tiere. Sie mieden uns Menschen. Bisher kannte ich nur Wölfe, die sich freuten, wenn ich kam. Nun war da ein Wesen, das vor mir davonlief. Ein Tier, das von meiner bloßen stillen Anwesenheit schon so verschreckt war, dass es das Weite suchte.
Doch was hatte ich erwartet? Das hier war kein Zoo. Es waren wilde Tiere. Ich begann zu ahnen, dass noch ein weiter Weg vor mir lag, bis ich das Verhalten der Wölfe verstehen würde.
Eines Abends kam ich nach einem langen anstrengenden Tag in die Lodge zurück. Wir hatten Wolfsspuren gesucht. Als wir eine prächtige unzerstörte Spur im Schlamm entdeckten, zauberte Dan eine vorbereitete Gipsmischung aus dem Rucksack und führte uns in das Geheimnis der Herstellung von Pfotenabdrücken ein. Jeder erhielt einen Becher mit Gips, einen Rührstab und einen Streifen Karton sowie eine Büroklammer. Wasser hatten wir in unseren Trinkflaschen. Ich drückte den Kartonstreifen um die Spur in den Schlamm und schloss ihn mit der Büroklammer zu einem Ring. Dann rührte ich den Gips mit dem Wasser an und goss die Masse in den Abdruck. Als sie ausgehärtet war, hielt ich meinen ersten Pfotenabdruck eines wilden Wolfes in der Hand. Ich war erstaunt, wie groß er war. Er bedeckte meine gesamte Handfläche.
Als ich an der Lodge aus dem Auto stieg, hörte ich Musik. |53| Jemand spielte Gitarre, und eine Frau sang mit klarer Stimme Countryballaden. Neue Gäste waren angekommen. Der Amerikaner George und seine japanische Frau Michiko. George strahlte eine offene, beleibte Fröhlichkeit aus, während die zierliche Japanerin nicht nur äußerlich, sondern auch stimmlich Edith Piaf glich. Alle saßen auf Holzstämmen um das Lagerfeuer und hörten Michikos klarer Stimme zu. Ich setzte mich zu den anderen Gästen und sang oder summte mit. Das Feuer knisterte und krachte und erhellte die Gesichter der Menschen, die verträumt in die Funken starrten. Der Whippoorwill (eine Nachtschwalbenart) schien mit seinem Getriller den Gesang von Michiko übertönen zu wollen. Und über den See hinweg hallte das gespenstische »Lachen« des Eistauchers. Es roch nach Holz, Erde und Wasser, und ich vergaß alles um mich herum.
Später kamen wir ins Gespräch. George schwärmte von seiner Zeit als Soldat in
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