Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
Garmisch-Partenkirchen. »German Brrratwurst« und »ein Bier bitte« strahlte er und strich sich dabei über seinen Kugelbauch.
Wo immer man in den USA hinkommt, stets findet man jemanden, der einmal in Deutschland stationiert war oder deutsche Vorfahren hat. Auch George erzählte mir, dass er »ein Drittel deutsch, ein Drittel italienisch und ein Drittel irisch« sei.
Die Lodge füllte sich. Die Jagdsaison hatte begonnen. Auf vielen Pick-ups lagen ausgeweidete Hirsche und Rehe – ein Anblick, bei dem ich schlucken musste. John, der Besitzer der Lodge, arbeitete als Jagdführer. Auch George war Jäger.
»Ich gehe morgen mit John raus, mir meinen Hirsch schießen«, erzählte er mit fröhlichem Gesicht. Als er sah, wie ich die Augen aufriss, fügte er noch hinzu:
»Michiko und ich können einen ganzen Winter lang von dem Fleisch leben. Da sparen wir eine Menge Geld. Meine Frau kennt die besten Rezepte für Elchgulasch oder Bärenschinken. Es gibt nichts Besseres als ein Stück Wild.«
Auweia. Jetzt war ich in der Klemme. Eben noch war meine |54| Welt so wunderbar einfach. Jetzt kam dieses singende Pärchen und rüttelte alles durcheinander. Im Laufe der Jahre hatte ich mir sorgfältig eine Kommode von Vorurteilen gebaut, mit vielen Schubladen. Jäger = Schublade »böse«. Jäger töten Wölfe. Böse, böse, böse! Und nun saß ich da neben diesen netten Menschen und fand sie außerordentlich sympathisch. Ich konnte sie sogar verstehen. Sie sparten Geld und hatten die Gefriertruhe voller »Biofleisch«. Und war es nicht besser, wenn ein Tier »glücklich« starb, also mit einem Gewehrschuss mitten aus dem Leben katapultiert wurde? Auf jeden Fall besser als ein Schlachtviehtransport. Wegen eines Films über einen solchen Transport war ich ursprünglich zur Vegetarierin geworden.
Doch nun saß ich hier, der Stadtmensch, der seine idealisierten Vorstellungen von Natur jedem aufdrängen wollte, ob er sie nun hören wollte oder nicht. Auf der anderen Seite die, die mit und auch von der Natur lebten. Paradoxerweise verspürten wir beide die gleiche Liebe und Wertschätzung für das Tier. Nur war der Jäger näher an der Welt des Tieres und seines Lebensraumes. Auch die Jagd war ein Teil des Lebens. Ich dagegen kaufte mein Fleisch hygienisch abgepackt im Supermarkt. Wie konnte ich es wagen, zu urteilen?
Ziemlich erschüttert über mich selbst ging ich an diesem Abend ins Bett. Ich schwor mir, ein paar Schubladen meiner Vorurteilskommode ordentlich leer zu räumen.
Ein paar Tage später machten wir uns auf den Weg zu einer verlassenen Wolfshöhle. Wie in einer Sardinenbüchse saßen wir dicht gedrängt im Allradfahrzeug. Wir glaubten uns auf der Rallye Paris-Dakar, als der Wagen über Stock und Stein hüpfte. Dies war wahres Wolfsland. Ely grenzt an die Boundary Waters Canoe Wilderness Area, ein Wildnisgebiet höchster Schutzpriorität. Jeder Gebrauch von Motoren ist verboten. Selbst Flugzeuge dürfen nicht über das Gebiet fliegen. »Land der tausend Seen« steht auf den Autoschildern. Abseits der Autostraßen bewegen sich die Bewohner überwiegend mit dem Kanu fort. Wir stellten unseren Wagen am Rande des |55| Schutzgebietes ab. Die anschließende, fast zweistündige Wanderung gab uns genug Zeit, unsere auf der langen Fahrt steif gewordenen Glieder wieder zu lockern.
Überall fanden wir Tierspuren. Dan zeigte uns, wie man Bären- und Wolfskot identifiziert.
»Wisst ihr, woran man Bärenkot erkennt?«, fragte er mit ernstem Gesicht.
»An den Glöckchen im Kot«, gab er grinsend selbst die Antwort. Wanderern werde empfohlen, kleine Glöckchen am Handgelenk oder Rucksack zu befestigen. Angeblich liefen die Bären davon, wenn sie die Glocken hörten.
»Völlig nutzlos!«, kommentierte Dan entschieden. »Unterhaltet euch einfach nur laut. Dann wissen die Bären, dass ihr da seid, und laufen fort.«
Wie bitte? Wir befanden uns im Bärengebiet und sollten uns laut unterhalten? Was, wenn das die Bären erst recht neugierig machen würde? Von dem Moment an herrschte Totenstille. Das emsige Plappern und Kichern war vollständig verstummt. Selbst der vorlaute Peter brachte auf einmal keinen Ton mehr heraus.
Erst Dans Untersuchung der Bärenhäufchen beruhigte uns.
»Keine Sorge, der Kot hier ist älter. Hier war schon länger kein Bär mehr.«
Bärenkot ist von tiefdunkler Farbe und meist von Beeren und Pflanzenteilen durchsetzt. Wolfskot dagegen ist hell und enthält viele Knochen- und Haarteile. Außerdem ist
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