Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
war er also. Einer der bekanntesten Naturfotografen der Welt – und ein ganz normaler Mensch, offen und natürlich.
Das »Projekt«, an dem Brandenburg arbeitete, sollte 1997 im National Geographic Magazine unter dem Titel »North Woods Journal« erscheinen. Später wurde es als Buch »Natur im Licht. Ein 90 Tage Bildbuch« auch in Deutschland veröffentlicht.
Mit zwei neuen Brandenburg-Wolfspostern schwebte ich zum weiteren Einkauf. Direkt neben der Galerie lag der Steger Mukluks Laden. Mukluks nur als »Stiefel« zu bezeichnen wäre vermessen. Sie sind eine Weltanschauung. Das handgefertigte Schuhwerk stammte ursprünglich aus der Arktis und zählte zur ersten traditionellen Fußbekleidung der Einwohner Alaskas, Nord-Kanadas und Grönlands. Die Spezialstiefel wurden ähnlich wie der Mokassin aus einem Stück gefertigt. Patti Steger, die Besitzerin des Ladens, hatte 1983 bei einer Hundeschlittenexpedition in die Arktis von Inuit-Frauen ein Paar der Schuhe erhalten und war begeistert, wie leicht, komfortabel und vor allem, wie warm sie waren. Zwei Jahre später eröffnete sie ihren Laden in Ely und ist stolz darauf, dass die Stiefel bis heute ausschließlich in Amerika produziert werden. Teilnehmer von Arktisexpeditionen tragen sie ebenso wie die Schlittenhundefahrer beim Iditarod-Rennen in Alaska. Ich gönnte mir ein Paar der sündhaft teuren Stiefel und habe es bis heute nicht bereut. Noch nach zwanzig Jahren habe ich in eisigen Montana-Wintern bei minus dreißig Grad dank der Mukluks warme Füße.
Mächtig bepackt ging ich schließlich ins Log House Café und ließ mir zum Abschluss meiner Einkaufstour noch eine große Tasse heiße Schokolade schmecken, bevor ich mich wieder auf den Weg zurück zur Lodge machte.
Beim Abendessen erzählte ich Peter von meinem Gespräch mit dem berühmten Fotografen. Er bekam ganz feuchte Augen, |59| zu gern hätte er ihn einmal kennengelernt. Aber auch er war nicht untätig gewesen und hatte unterdessen bei der »Piragis Northwoods Company«, einem der bekanntesten Sportgeschäfte in Minnesota, ein paar Schneeschuhe gekauft. »Man kann nie wissen«, grinste er.
Offensichtlich hatten einige von uns die Hoffnung, vielleicht doch eines Tages noch einmal im Winter in das Land der Wölfe zurückzukehren.
Shopping macht hungrig. Wir ließen uns die Steaks mit Kartoffeln und Salat schmecken. Die Portionen waren riesig und schmeckten grandios. Täglich wurde ich entspannter, was das Essen anging. Ich fühlte mich nicht mehr schuldig, weil ich Fleisch aß. Je mehr ich von der Natur lernte und in ihr lebte, umso natürlicher wurde auch der Tod, der zum Leben gehörte.
Am nächsten Tag besuchten wir die Forschungsstation von Dave Mech, ein gemütliches Blockhaus am Ufer des Birch Lake, tief im Superior National Forest. An den Wänden hingen zahlreiche Landkarten. Die bunten Nadeln, die in ihnen steckten, markierten die Stellen, an denen Wölfe gesichtet worden waren. Von Ordnung keine Spur. Alles lag chaotisch durcheinander: Schmierzettel, Arbeitsanweisungen, Zeitungen und jede Menge großer Gläser mit Erdnussbutter.
»Mit Erdnussbutter kann man prima Mäuse fangen«, flüsterte mir ein Student leise zu.
Dr. Michael Nelson, ein Wildbiologe, hielt einen Vortrag über Wolfsökologie. Auch Mech gab sich noch einmal die Ehre und schaute kurz vorbei und überbrachte uns eine sensationelle Nachricht aus dem Yellowstone-Nationalpark. Dort sollte angeblich eine Gruppe von sechs Wölfen gesichtet worden sein. Einer von ihnen sei irrtümlich erschossen worden. Der Jäger hatte ihn mit einem Kojoten verwechselt. Diese Meldung war im Herbst 1991 eine Sensation. Die politische und emotionale Debatte um eine mögliche Wiederansiedlung von Wölfen in Yellowstone befand sich in der Hochphase. Wenn tatsächlich Wölfe von allein in den Nationalpark gewandert |60| wären, würde sich eine von Menschen durchgeführte Rücksiedlung erübrigen. Später erfuhr ich, dass die Wolfssichtung nicht bestätigt werden konnte. Daraufhin nahm die Regierung die ursprünglichen Wiederansiedlungspläne erneut auf. Niemals hätte ich damals auch nur daran gedacht, dass ich wenige Jahre später selbst im Yellowstone-Wolfsprojekt mitarbeiten würde.
Den Höhepunkt unseres Aufenthaltes hatten die Biologen für unseren letzten Tag vorgesehen: einen Rundflug über Minnesotas Seenlandschaft und das Wolfsgebiet. Jeweils drei Personen passten in das kleine einmotorige Wasserflugzeug mit dem Peilsender. Ich quetschte
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