Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
mich neben Peter auf die Rückbank. Der Pilot kreiste tief über die vielen Seen und die farbenprächtigen Herbstwälder. Das Flammenmeer der Ahornwälder wurde nur von den goldenen Tupfern der Espen und den dunklen, fast schwarzen Farbklecksen der vielen Seen unterbrochen. Ich staunte und staunte und vergaß vor so viel Schönheit, dass mir in solchen kleinen, tief kreisenden Flugzeugen eigentlich regelmäßig übel wird. Ich brachte es nicht fertig, die Augen von dem Anblick loszureißen und nach der Kamera zu greifen, die in meinem Schoß lag. Nur Peter drückte unablässig auf den Auslöser. Der Pilot zeigte uns, wo unsere Wölfin mit der Nummer 369 lebte, empfing jedoch kein Signal von ihr. Wir sahen Elche, Hirsche, einen Kojoten und mehrere Waschbären. Viel zu schnell landete das Flugzeug wieder, um die nächsten Passagiere aufzunehmen.
Noch ganz berauscht von dem Erlebnis trafen wir abends in der Lodge ein, wo ein besonderes Unterhaltungsprogramm auf uns wartete. Wir bekamen Besuch aus dem 18. Jahrhundert, einem »Voyageur«. Das waren französische Pelzhändler, die in ihren großen, etwa acht Meter langen Kanus aus Birkenrinde die Felle von Trappern bis in die Städte des Ostens transportierten. Als solcher hatte sich zumindest Greg Howard verkleidet, der in der Gegenwart seinen Lebensunterhalt als Wildnis Guide und Kanubauer verdiente.
|61| Greg erzählte über die Voyageure: »Sie waren friedliche und vor allem fröhliche Menschen. Sie liebten die Natur und die Einsamkeit. Ihre oft zwanzig Stunden langen Arbeitstage vertrieben sie sich mit vielseitigen Gesängen. Viele von ihnen waren mit Indianerinnen verheiratet. Nur an wenigen Tagen im Jahr trafen sie mit anderen Voyageuren zusammen. Dort verspielten sie ihr hart verdientes Geld, um dann im kommenden Sommer wieder in die Wildnis zu ziehen.«
Mit blumigen Worten nahm uns Greg mit auf die Reise in die Zeit vor zweihundert Jahren. Er entsprach genau dem Bild, das wir uns aus seinen Schilderungen machen konnten: ein weites Baumwollhemd in die schmalen Hosen gestopft, als Gürtel eine bunte Schärpe. Die schmalen Beine steckten in weichen kniehohen Ledermokassins. Ebenfalls aus weichem Leder war seine Umhängetasche genäht. Um die Stirn hatte er ein buntes Band gewunden.
»Alles selbst genäht«, betonte er stolz und strahlte uns mit blitzenden Augen an. Nur die Brille passte nicht ganz in das Bild des Abenteurers.
Noch lange erzählte er an diesem Abend von seinen zwei Leben. Dem einen als Voyageur aus dem 18. Jahrhundert und dem anderen als Bootsbauer in der Gegenwart. Er lebte in einer Blockhütte mitten in der Wildnis, ohne Strom und fließendes Wasser, dafür mit Wölfen und Bären als Nachbarn. Ich war fasziniert – sowohl vom Blockhüttenleben als auch von dem Mann und seiner Ausstrahlung. Gern hätte ich mich noch länger mit ihm unterhalten. Aber dann rief Dan seine Schützlinge schon zum nächsten und letzten Abenteuer zusammen.
Wir fuhren noch einmal hinaus in den Wald. Im Wolfsgebiet wollten wir durch Heulen die Tiere zu einer Antwort bewegen, um so eventuell ihre Anzahl feststellen zu können. Es regnete in Strömen, was die Begeisterung jedoch keinesfalls dämpfte. Wahrscheinlich gaben wir einen merkwürdigen Anblick ab. Bis auf die Knochen durchnässte Zweibeiner, die sich mitten in der Wildnis die Seele aus dem Leib heulten. Ich gab |62| mein schönstes Kojotenheulen zum Besten, so wie ich es von Wild Bill gelernt hatte. Wir heulten und lauschten. Froren und standen unter Hochspannung. Manchmal war das Klappern der Zähne das einzige Geräusch. Dann endlich der ersehnte Laut. Aus dem Wald kam ein einzelner, tiefer Klang, der sich immer weiter hochschraubte. Er kroch durch meine Eingeweide bis in mein Herz. Von der anderen Seite des Waldes kam die Antwort. Schließlich fielen von überall her Wolfsstimmen ein. Tief und dunkel oder hell und hysterisch, jubelnd. Und ich mittendrin. Es war, als wäre ich gleichzeitig in Verona, der Mailänder Scala und der Metropolitan Opera. Ich schärfte all meine Sinne und versuchte, den Klang tief in mich aufzusaugen, um ihn nie wieder zu vergessen. Der Regen vermischte sich mit meinen Tränen. Ich sang mit wilden Wölfen in ihrem Revier. Das war das größte Geschenk, das ich zum Abschied mit nach Hause nehmen durfte.
Gesehen hatte ich in diesen vier Wochen die wilden Wölfe zwar nicht, aber ich durfte mich in ihrem Revier aufhalten. Hatte Spuren gefunden, war in ihre Höhlen gekrochen und hatte
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