Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
würden. Ich erinnerte mich an Dave Mechs Ankündigung von einer möglichen Rückkehr der Wölfe in den amerikanischen Yellowstone-Nationalpark. Das war meine Chance. Diesen Park kannte ich wie meine Westentasche. Schon seit 1975 besuchte ich ihn regelmäßig, weil mich die Natur und die Wildtiere so faszinierten. Die Bären, Bisons und Geysire hatten mich in ihren Bann geschlagen. Auch meine Lieblinge, die Kojoten, ließen sich hier gut beobachten. Wölfe jedoch galten in Yellowstone seit siebzig Jahren als ausgestorben.
Trotzdem hatte ich hier bei früheren Aufenthalten immer wieder einmal Wolfsheulen gehört. Es musste also Wölfe geben, davon war ich überzeugt. Die Meldung von Dave Mech und die Internationale Wolfskonferenz in Edmonton, Kanada, an der Günther und ich 1992 für den Verein teilnahmen, bestätigten |68| meine Vermutung. Ein Video zeigte einen Wolf in Yellowstone. Die Wissenschaftler nahmen an, dass das Tier aus dem nördlichen Montana eingewandert war. Die Konferenzteilnehmer diskutierten heftig darüber, ob es sich um einen Wolf oder einen Wolfsmischling handelte. Sie kamen zu keinem Ergebnis. Aber das Thema einer Rückkehr der Wölfe nach Yellowstone war einmal mehr ins Gespräch gekommen. Eine Wiederansiedlung rückte in greifbare Nähe. Und ich wollte dabei sein.
In dieser Zeit der Orientierung traf ich eine bemerkenswerte Frau, die maßgeblich dazu beitrug, die Wölfe nach Yellowstone zurückzubringen: Renée Askins. Renée, ebenfalls eine ehemalige Praktikantin von Wolf Park, hatte in Wyoming den »Wolf Fund« gegründet, eine Organisation, deren einziges Ziel die Vorbereitung für die Wiederansiedlung der Wölfe war.
»Sobald die Wölfe in Yellowstone sind, werde ich den Verein auflösen«, erzählte mir die zierliche Frau mit den langen Haaren in einem Interview. Ich war nach Jackson, Wyoming geflogen, wo Renée lebte, um sie für das »Wolf Magazin« zu ihrer Arbeit zu befragen.
Jackson ist ein kleiner Wildwest-Ort mit Country-Flair und Kitzbühel-Publikum. Mitten in den Bergen von Wyoming gelegen, ist er der Anziehungspunkt für die Reichen und Schönen. Vier große Tore begrenzen den kleinen Stadtpark. Sie bestehen aus Hunderten von Hirschgeweihen. Rund um Jackson lebt eine der größten Hirschpopulationen des Staates. Diese Hirsche werden als Touristenattraktion gehegt und gepflegt und im Winter sogar regelmäßig gefüttert. Dann versammeln sich etwa fünf- bis siebentausend Wapitis auf dem »National Elk Refuge«, einem großen Gelände in der Nähe der Stadt. Mit Pferdeschlitten fahren Touristen durch die Herden und werfen Futterpellets ab wie beim Rosenmontagszug die Narren die Kamellen. Die – wilden – Hirsche trotten den Schlitten hinterher und fressen die Pellets. Die Fütterung ist äußerst umstritten. Kritiker bemängeln, dass sie die natürliche |69| Auslese unterdrückt und sich Krankheiten in den Herden verbreiten. Als ich einmal im Winter diesem Spektakel zuschaute, empfand ich nur ein Gefühl der Scham über die Zurschaustellung der Tiere. Sie hatten ihre Wildheit verloren.
Ich fand das Büro des Wolf Fund in einer kleinen Seitenstraße. Die Wände hingen voller Wolfsbilder und Umwelt-Slogans. Nicholas, Renées Assistent, begrüßte mich. Renée war noch dabei, eine Rede für ein Nutztierzucht-Symposium zu schreiben. Ich beschloss, die Wartezeit für einen Stadtbummel zu nutzen. Im Stadtpark spielte eine Countryband zum Straßenfest auf. Ein Pärchen in Cowboy-Outfit gab Unterricht im Texas-Two-Step. Während ich auf einem Strohballen saß und ein Barbecue-Chicken verdrückte, hörte ich den Musikern zu.
Dann kam Nicholas, um mich ins Büro zurückzuholen. Renée hatte Zeit für mich. Wir setzten uns in die abgewetzten Ledersessel des kleinen Raumes und unterhielten uns über die Arbeit und das Ziel der Organisation. Über die Schwierigkeiten, Vorurteile und Frustrationen, mit denen Renée zu kämpfen hatte, wenn sie versuchte, die Bevölkerung von der Notwendigkeit der Rückkehr der Wölfe zu überzeugen. Bei jedem öffentlichen Meeting, an dem sie teilnahm, wurde sie von Viehzüchtern beschimpft, verflucht und bedroht, weil sie ihnen die verhassten Wölfe »auf den Hals hetzen« wollte.
»Ich verstehe diese Menschen«, verblüffte mich Renée, die eigentlich allen Grund haben sollte, wütend auf die Wolfsgegner zu sein. »Sie haben Angst, dass sich ihr bisheriges Leben verändern wird. Ich versuche, ihnen zu erklären, wie wichtig die Wölfe
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