Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
schließlich mit ihnen geheult. Auf ihre Weise gaben sie mir einen kleinen Einblick in ihr Leben. Jetzt wollte ich noch mehr über sie erfahren.
|63| LERNEN GELERNT
Sucht – das Lexikon definiert den Begriff als »körperliche und/oder psychische Abhängigkeit von Drogen, Alkohol, Glücksspiel, Computer; Merkmale: übermächtiger Wunsch, sich die Suchtmittel zu beschaffen; Tendenz zur Dosissteigerung; Entzugserscheinungen bei Entziehung«.
Da hatte ich es schriftlich. Ich war süchtig. Nur dass meine Droge weder der Tabak noch das Glückspiel war. Ich war süchtig nach Wölfen. Ich war ein »Wolfaholic«.
Ich hatte Wölfe geküsst und mit ihnen geheult. Jetzt ließen sie mich nicht mehr los.
»Was ist denn so Besonderes an diesen Tieren?«, fragten meine Freunde in Deutschland. Ich konnte es nicht erklären.
»Sie sind wild … unzähmbar … faszinierend …« Mehr fiel mir nicht ein. Wie sollte ich etwas beschreiben, das so außergewöhnlich war? Ihre Augen – Hellblau bei den Welpen, Gelb oder Ocker bei den Erwachsenen. Ihr dichtes Fell. Die riesigen überdimensionalen Pfoten. Ihr Geruch nach Erde, Gras, Natur. Die Kraft ihrer Kiefer, mit der sie einen Elchkopf zerbeißen können, als sei es ein Hühnerbein. Ihre Ausdauer, die sie über Hunderte Kilometer traben lässt, und die Eleganz, mit der sie über Hindernisse fliegen. Der Mut, der sie sich gegen jeden stellen lässt, der ihre Familie bedroht. Ihre unendliche Geduld beim Spielen mit dem Nachwuchs. Die reine, ungehemmte Freude, mit der sie einander begrüßen. Vor allem aber ihre absolute Präsenz und Aufmerksamkeit für das, was sie gerade tun. Alles Eigenschaften, die auch andere Wildtiere besitzen. Es war mir nur nie aufgefallen. Eigentlich hatte ich noch nicht einmal darüber nachgedacht. Wildtiere und |64| Natur waren einfach da, eine Selbstverständlichkeit. So normal wie das Aufstehen und Zähneputzen am Morgen.
Jetzt aber fing ich an, die natürliche Welt um mich herum mit anderen Augen zu sehen. Ich bemerkte es zuerst bei den Spaziergängen mit meiner Lady. Ich ging jetzt sehr viel aufmerksamer durch den Wald. Achtete auf Geräusche und Gerüche und beobachtete genau, wie sich mein »Hauswolf« verhielt. Manchmal stand sie wie versteinert am Wegesrand, hielt den Kopf schief und schien auf etwas zu lauschen. Ihr Körper spannte sich. Dann flogen beide Vorderpfoten hoch, um schließlich blitzschnell hinab ins Gras zu stoßen, gefolgt von der Schnauze. Sie hatte eine Maus gefangen – genauso wie die Wölfe in Wolf Park.
Mein Gespräch mit Jim Brandenburg in Ely über die Gefahr, die dem Wolf durch die Menschen drohte, ging mir nicht mehr aus dem Kopf.
»Sie müssen die Leute aufklären!«
Mit viel Enthusiasmus machte ich mich an die Arbeit. In meiner Heimat hatte sich meine neue Leidenschaft schnell herumgesprochen. Nach einigen Zeitungsberichten über mich wurde ich in Schulen und Kindergärten eingeladen, um über das Leben der Wölfe zu berichten. Die Kinder waren, was die Natur betraf, sehr viel aufgeschlossener als die Erwachsenen. Die Vorurteile der Eltern hatten die meisten von ihnen noch nicht erreicht.
Die Mutter eines Kindergartenkindes erzählte mir einmal, dass ihr fünfjähriger Sohn ganz aufgeregt nach Hause gekommen sei und ihr mitgeteilt habe, dass er von nun an die Geschichte von Rotkäppchen nicht mehr vorgelesen haben wolle.
»Das stimmt alles nicht!«, habe der Junge empört gesagt. »Wölfe sind gar nicht böse und fressen auch keine Kinder.«
»Wir mussten auf andere Märchen ausweichen«, schmunzelte die Mutter. »Und wir beschäftigen uns jetzt auch mehr mit anderen wilden Tieren und den Vorurteilen über sie.«
Es freute mich, dass die Botschaft angekommen war.
Anfang der neunziger Jahre gab es in Deutschland kaum |65| Interesse am Thema Wolf. Erst als 1998 auch hier Wölfe in freier Wildbahn gesichtet wurden, begannen sich die Menschen für die großen Beutegreifer zu interessieren. Bis dahin existierten die Tiere entweder in idealisierten Vorstellungen oder in Schauermärchen.
Es wurde Zeit, das, was ich über Wölfe gelernt hatte, einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Ich setzte mich mit Günther Bloch in Verbindung, den ich zusammen mit seiner Frau Karin in Wolf Park kennengelernt hatte.
Günther war gelernter Reisebürokaufmann und hatte seine Leidenschaft für Hunde durch die Gründung einer Hundeschule, der »Hundefarm Eifel«, zum Beruf gemacht.
Bei langen Gesprächen am Küchentisch
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