Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
sind.«
Renée machte einen großen Eindruck auf mich. Es gehörte viel Mut dazu, sich der Wut der Schafs- und Rinderzüchter zu stellen. Wenn ich in Deutschland mit Jägern über meine Leidenschaft für Wölfe sprach und auf heftige Gegenreaktionen stieß, dann zog ich stets buchstäblich den Schwanz ein. Ich wollte mich nicht streiten. Wollte, dass mich alle liebten. Stattdessen |70| sollte ich wütenden Jägern erklären, warum wir Wölfe brauchen oder Schafszüchtern verständlich machen, dass mit Wölfen ihr Leben sich verändern würde. Es erinnerte mich an meine Anwaltstätigkeit und die Gerichtsverhandlungen, in die ich stets mit Übelkeit und Magenschmerzen ging. Ich wich Gesprächen aus und lehnte Einladungen, vor Jagdvereinen oder Viehzüchtern zu sprechen, mit einer fadenscheinigen Entschuldigung ab. Viel lieber wollte ich mich in die Wildnis zurückziehen und meinen Frieden haben.
Während draußen vor dem großen Fenster ein Cowboy im Buffalo-Bill-Outfit mit Sporen und einem Colt im Gürtel vorbeistolzierte und sich von Touristen fotografieren ließ, saß ich im Büro dieser mutigen Frau und schämte mich meiner Feigheit. Ich nahm mir vor, in Zukunft bei unangenehmen Auseinandersetzungen nicht mehr zu kneifen.
Die mühsame Überzeugungsarbeit von Renée Askins und ihrem Team vom Wolf Fund hatte schließlich Erfolg. 1995 war es soweit. Nach zehn Jahren Vorbereitung wurden die ersten vierzehn Wölfe aus Kanada nach Yellowstone gebracht. Ihnen folgten 1996 weitere siebzehn Wölfe. Damit begann das erste und seither erfolgreichste Wiederansiedlungsprojekt der Welt. An dem Tag, als der erste Wolf seine Pfoten auf den Boden von Yellowstone setzte, schloss Renée ihr Büro ab und hängte ein Schild an die Tür: »Mission accomplished!«
Doch meine Mission begann erst jetzt! Wieder einmal packte ich meine Koffer und flog nach Montana. Die Wölfe von Yellowstone sollten von nun an ein wichtiger Teil meines Lebens werden.
Zunächst jedoch stand ich allein auf weiter Flur. Ich landete im tiefverschneiten Bozeman, mietete ein Auto und fuhr in den Park, so wie schon viele Male zuvor auch. Diesmal allerdings hatte ich ein ganz bestimmtes Ziel. Ich wusste, dass die ersten freigelassenen Wölfe im Lamar Valley ihre neue Heimat gefunden hatten. Dieses Tal liegt im Norden des Nationalparks auf etwa zweitausendfünfhundert Metern Höhe. |71| Umsäumt von hohen Bergen, bleibt es auch in strengen Wintern vor der schlimmsten Witterung geschützt und bietet den großen Hirsch- und Bisonherden reichlich Nahrung. Viele der etwa acht- bis neuntausend Hirsche, die hier überwintern, sind ihrerseits im ewigen Kreislauf der Natur Nahrungsgrundlage für Wölfe und andere Raubtiere.
In Cooke City, einem kleinen Ort am Nordosteingang von Yellowstone, mietete ich eine winzige Blockhütte. Wenn der Wecker morgens noch in der Dunkelheit klingelte, stand ich auf, machte mir ein Sandwich und füllte die Thermoskanne mit Kaffee. Dann fuhr ich in der Morgendämmerung in den Park und kehrte erst wieder nach Hause zurück, wenn es dunkelte. Auf der einzigen Autostraße, die durch das Lamar Valley führt, bummelte ich von Parkbucht zu Parkbucht, hielt mit dem Fernglas Ausschau nach Wölfen und suchte die Berghänge und Täler nach ihnen ab – vergeblich. Ein paar vereinzelte Kojoten trieben sich herum. Ein Laie konnte sie leicht mit Wölfen verwechseln. Wehmütig erinnerte ich mich an »Wild Bill« aus Wolf Park und an unsere gemeinsamen Gesänge. Wie sehr hätte ich ihm gewünscht, hier frei durch die hohen Büsche des Wüstenbeifußes zu streifen. Manchmal sah ich ein dunkles Tier in der Ferne, das ein Wolf hätte sein können. Aber meine Augen waren noch nicht auf Wolfssichtungen geschult. Und das Lamar Valley ist ein sehr großes Gebiet.
Ich änderte meine Taktik. Statt der Wölfe suchte ich Biologen. Wenn einer wusste, wo die großen Beutegreifer waren, dann sie. An ihren weißen Regierungsautos mit den vielen Antennen auf dem Dach waren sie leicht zu erkennen. Schließlich hatte ich ja in Minnesota gelernt, wie die Wölfe mit der Telemetrieausrüstung geortet werden konnten. Antennen = Telemetrie = Radiohalsbänder = Wölfe. Alles ganz einfach. Ich sah ein weißes Auto und junge Leute mit Handantennen an der Straße stehen, bremste und stürzte mit dem Fernglas auf sie zu.
»Wo sind die Wölfe?«
|72| Verständnislose Gesichter.
»Wölfe? Keine Ahnung. Wir suchen Hirsche.«
»Ach …«
Ich wusste damals nicht, dass neben
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