Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
Wölfen auch Kojoten, Hirsche, Dickhornschafe, Bären und Bisons besendert waren. Ganz schön blamabel, meine ersten eigenen Trackingversuche. Aber sie machten mich bekannt – oder eher berüchtigt. Die verrückte Deutsche, die Wölfe sucht. Vermutlich aus Mitleid halfen mir die Biologen. Ich erhielt Tipps, wo Wölfe zuletzt gesehen worden waren. Und tatsächlich – eines Tages entdeckte ich sie. Meine ersten wilden Wölfe in Yellowstone. Frühmorgens tauchten sie auf, die Sonne hatte gnädig eine Lücke in den Frühnebel gebrannt. Wie Gestalten aus einer anderen Welt zogen ein grauer und ein schwarzer Wolf nur wenige hundert Meter von mir entfernt am Ufer des Lamar River vorbei, bevor der Nebel wieder den Vorhang zuzog. Was für ein Auftritt! Noch lange starrte ich auf die Nebelwand und war einfach nur glücklich. Die Wölfe von Wolf Park hatten mich schon fasziniert, jedoch immer mit einem kleinen bitteren Nachgeschmack, weil ihr Leben in Gefangenschaft nicht »natürlich« war. In Minnesota hatte ich vergeblich nach wilden Wölfen Ausschau gehalten. Hier sah ich sie nun endlich. Wilde Wölfe in ihrem Revier – frei! Die Natur schien durch ihre Anwesenheit erst »vollständig« zu werden. Sie gehörten hierher. Siebzig Jahre lang hatte das Land auf sie gewartet. Jetzt waren sie zurück und füllten die ökologische Nische, die ihre Ausrottung hinterlassen hatte. Die Welt war wieder in Ordnung.
Vom »Jagdfieber« gepackt, suchte ich nun viele Stunden lang mit dem Fernglas nach Wölfen. Versuchte, die Magie des ersten Augenblicks wieder hervorzuzaubern. Manchmal traf ich andere Wolfssüchtige mit großen Spektiven (Teleskopen), die auf einem Stativ befestigt waren. Sie ließen mich hindurchschauen. Welch ein Unterschied. Während ich mit meinem Fernglas einen guten Überblick hatte und nach Tieren Ausschau halten konnte, gab mir das Spektiv eine sehr viel höhere |73| Vergrößerung. Ich konnte aus weiter Entfernung dem Wolf quasi in die Pupille schauen, ohne ihn zu stören.
In Gedanken rechnete ich mir schon aus, wie lange ich sparen musste, um mir ebenfalls so ein Gerät zu kaufen. (Ein paar Jahre später bot mir die Firma Zeiss in Wetzlar an, meine Arbeit mit einem ihrer Spektive und einem guten Fernglas zu sponsern.) Die meiste Zeit jedoch war ich allein im Lamar Valley unterwegs. Die erste Aufregung über die Wiederansiedlung hatte sich gelegt. Die Reporter, die im Januar noch in Scharen durch das Tal gezogen waren, saßen nun wieder in ihren warmen Büros in New York oder Los Angeles und widmeten sich dem Weltgeschehen. Niemand erwartete, in den nächsten Jahren die scheuen Beutegreifer zu Gesicht zu bekommen.
Die Wölfe jedoch überraschten alle und übertrafen die Erwartungen. Von Anfang an waren sie gut sichtbar, gingen sie vor den Augen der begeisterten Biologen und Touristen der Jagd und der Familienplanung nach.
»Wolfwatching« wurde innerhalb weniger Jahre zum Volkssport und zog jedes Jahr mehr Touristen an.
1996 kam ein neuer Biologe in den Park. Rick McIntyre, der die offizielle Berufsbezeichnung »biologischer Techniker« trägt, wurde zum »Leitwolf« und Oberguru für uns Wolfsbeobachter. In der Hierarchie der Wildbiologen des Parks steht er an unterster Stelle – und will es auch nicht anders. So muss er nicht wie die anderen Biologen Zeit im Büro verbringen, sondern kann sich auf seine Feldforschungen konzentrieren.
Fünfzehn Sommer lang hatte Rick im Denali-Nationalpark in Alaska gearbeitet. Dort war es etwas Besonderes, die scheuen Wölfe zu Gesicht zu bekommen. Dann erhielt er eine Teilzeitstelle in Yellowstone. Während der ersten vier Jahre arbeitete er zunächst noch den Winter über im Big Bend Nationalpark in Texas. Seit dem Jahr 2000 ist er ganzjährig in Yellowstone und verbringt den Tag damit, die Wölfe zu suchen und Aufzeichnungen über ihr Verhalten zu machen. Rick ist eines der wichtigsten Mitglieder der Wolfsforscher-Familie |74| von Yellowstone. Die Wölfe sind seine Familie. Er kennt Eltern, Kinder, Enkel und Urenkel und verlässt den Nationalpark nur, um im drei Stunden entfernten Bozeman seinen Wagen zur Reparatur zu bringen oder dringende Einkäufe zu erledigen. Sein kleiner gelber Nissan Xterra mit den drei Dachantennen ist für die Wolfsgroupies wie eine Leuchtreklame: Hier sind die Wölfe! Steht er mit seiner Telemetrieantenne neben dem Auto und versucht, durch das Piepen im Empfänger die Wölfe zu orten, hat er innerhalb weniger Minuten schon eine Fangemeinde
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