Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
Rudelmitgliedern getötet werden? Nichts davon stimmt. Immer wieder erlebe ich, wie kranke Tiere von der Familie gepflegt werden.
Aber es gibt natürlich auch die berühmte Ausnahme. In Yellowstone war es ein Familiendrama wie aus einem Hollywoodfilm, das selbst die Biologen überraschte.
Die Leitwölfe der Druids, Wolf Nummer 21M und Wölfin Nummer 42 F, waren die berühmtesten Wölfe im Park. Ein Vorzeigepaar, das seine Familie ruhig, gelassen und souverän führte und selbst schwierige Situationen schnell unter Kontrolle bekam. Das war aber nicht immer so.
|100| Bevor Nummer 42 zur Leitwölfin der Druids aufstieg, erlebte ich eine Situation, die genau dem Bild entsprach, das ich aus der Gehegeforschung kannte: Eine Leitwölfin, die sich nur durch extreme Unterdrückung der anderen Wölfe in ihrer Position halten konnte. Dass das auf längere Zeit nicht gut gehen konnte, zeigt ihre Geschichte:
Wölfin Nummer 40F war eine der ersten Leitwölfinnen der Druids und die Schwester von Nummer 42 F. Von Anfang an regierten 40F und ihr damaliger Partner, Leitwolf Nummer 38 M, die Familie mit eiserner Hand. Beide führten ihre Familie immer wieder in Kriege mit benachbarten Wolfsgruppen. Als 38M außerhalb des Parks illegal erschossen wurde, übernahm der zweijährige Wolf Nummer 21M seine Position. Mit dem neuen Chef schien es bei den Druids ruhiger zu werden. Nur die Leitwölfin blieb weiterhin aggressiv. Eine fremde Wölfin, die versuchte, sich der Gruppe zu nähern, wurde von ihr buchstäblich in der Luft zerrissen.
Das Jahr 2000 sollte zum Schicksalsjahr für 40F werden. Die Druid-Familie bestand nun aus dem Leitwolf, fünf Weibchen und zwei Welpen. Im Frühjahr überschlugen sich die Ereignisse und verblüfften Biologen und Fachwelt gleichermaßen. Wieder einmal zeigte sich 40F von ihrer hässlichsten Seite. Vier Jahre lang hatte sie nun ein extrem aggressives Regime geführt. Sie unterdrückte und verprügelte massiv sämtliche Familienmitglieder, wann immer sich die Gelegenheit bot. Regelmäßig tötete sie die Welpen der anderen Wölfinnen – auch die ihrer Schwester. Es brodelte lange bei den Druids. Bis sich schließlich Widerstand regte. Als 40 F erneut versuchte, die Welpen ihrer Schwester zu töten, lehnte sich diese – zusammen mit der ganzen Familie – gegen das bisherige Terrorregime auf. Gemeinsam töteten sie die Leitwölfin. Die Schwester 42F übernahm nicht nur deren Position, sondern zog auch zusätzlich zu ihren eigenen Welpen den Nachwuchs ihrer tyrannischen Schwester groß. Die ganze Wolfsfamilie unterstützte sie dabei. Die Wölfe zeigten ein unglaubliches Mitgefühl für den Nachwuchs einer Herrscherin, |101| die ihnen allen das Leben zur Hölle gemacht hatte. Die neue Leitwölfin Nummer 42 wurde als »Cinderella« oder »Aschenputtel-Wolf« weit über die Parkgrenzen hinaus bekannt. Cinderella blieb bis zu ihrem Tod 2004 eine souveräne und freundliche Leitwölfin. Die Druids verhielten sich von nun an deutlich weniger aggressiv. Irgendwie schien der Vorfall die Familie zu vereinen, die vorher nur durch Härte zusammengehalten worden war.
Dass eine dominante Leitwölfin von der eigenen Familie getötet wird, ist äußerst selten. Ich habe es in Yellowstone in sechzehn Jahren nur zwei Mal beobachtet.
In Wolfsfamilien findet eine ständige Kommunikation statt. Sie ist wichtig für eine gegenseitige Verständigung. So lernt jedes Mitglied einer Familie, wo sein Platz ist und welche Aufgaben es zu übernehmen hat. Wölfe kommunizieren mit ihrem ganzen Körper. Sie »sprechen« mit den Augen, den Ohren, der Schnauze, der Rutenstellung, aber auch durch Geruchsmarkierungen und durch Heulen.
Wie kommunizieren wir miteinander? Welche gemeinsamen Rituale haben wir in unseren Familien? Der Gottesdienst an Weihnachten, der Spaziergang am Ostermorgen, das gemeinsame Mittagessen am Sonntag. Rituale schaffen Nähe, Gemeinsamkeit, und auch Orientierung. Wie wichtig sie im Alltag sind, merken wir erst, wenn sie wegfallen.
Eines der schönsten wölfischen Rituale ist für mich das Begrüßungsritual:
Die zwölf Familienmitglieder der Agate-Gruppe schlafen fest. Langsam wachen zwei Jungwölfe auf. Sie gähnen und strecken sich. Rollen sich auf den Rücken. Dann beginnen sie mit ihrer Begrüßungsrunde, um die anderen zu wecken. Die, die sich schon gerührt haben, bekommen die Gesichter geleckt. Der Schwanz dreht sich wie ein Propeller. Jetzt werden auch die restlichen Familienmitglieder wach. Die
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