Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
war Paarungszeit, und wir beobachteten, wie wählerisch sie war. Einer der Rüden umwarb sie und versuchte, sich bei ihr einzuschmeicheln. Sie ließ ihn zappeln.
»Oh, der Arme«, klang es einstimmig aus meiner Gruppe.
»Schaut dort. Sie ist an dem anderen Wolf interessiert«, sagte ich.
»Aber der will nicht«, bedauerte eine der Frauen die Wölfin.
»Ach ja, das kenn ich«, seufzte die andere, während alle losprusteten. Fasziniert beobachteten wir, wie die Wölfin ganz allein einen großen Wapitihirsch angriff und erlegte, während die Rüden entspannt zusahen. Dafür mussten sie lange betteln, bevor sie sich an den gedeckten Tisch setzen durften.
»Richtig so! Strafe muss sein«, kam prompt der Kommentar aus meiner Gruppe.
»Bei den Wölfen sind es überwiegend die Weibchen, die eine Familie anführen«, erklärte ich ihnen. »Wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, ist es oft so, dass sich nicht nur die Jungwölfe, sondern auch der Partner an der Leitwölfin orientieren.«
Nachdenkliche Gesichter.
»Woran erkennen wir, welcher Wolf der Leitwolf ist?«, fragten die Frauen.
»Am leichtesten an der Schwanzstellung«, antwortete ich. |107| Leitwölfe tragen ihren Schwanz im Allgemeinen in einer höheren Position. Achtet auch darauf, wie die Wölfe urinieren. Bei den Wölfen urinieren die Leitwölfe mit erhobenem Bein, und zwar die Weibchen
und
die Rüden. Alle anderen hocken sich beim Urinieren hin – auch die Rüden.«
Die Familie der »06 Female« ist übrigens im Jahr 2011 um vier Welpen angewachsen. Die Wolfsrüden haben inzwischen dazugelernt. Es herrscht moderne Arbeitsteilung in der kleinen Familie. Die Rüden kümmern sich aufopferungsvoll um den Nachwuchs. Gelegentlich helfen sie auch bei der Jagd. Aufgrund ihrer Erfahrung und ihrer besonderen Kenntnisse ist es jedoch meist die Wölfin, die das Futter nach Hause bringt. Die Wolfsrüden scheinen emanzipiert genug zu sein, dass sie damit kein Problem haben.
Heimat und Familie – die Lektion, die ich von den Wölfen zu diesen Themen gelernt habe, ist für mich noch lange nicht abgeschlossen. Ich beneide die Wölfe um die Einfachheit und Klarheit, mit der sie in ihren Familien leben. Aber die Wölfe erinnern mich stets auch daran, dass das Paradies nicht perfekt ist und dass wir immer eine neue Chance haben.
|108| WOLF CAMP
Im Sommer 2004 nahm ich an einem »Wolf Base Camp« teil. Gemeinsam mit einigen Biologen und Mitgliedern der Yellowstone Association wollte ich eine Woche im Hinterland des Nationalparks verbringen. Wir sollten bei der »Summer Predation Study« helfen, einer Studie, die das Verhalten von Wolf und Beute während der Sommermonate untersucht. Eine wunderbare Gelegenheit, auch einmal den abgelegenen und nur schwer zugänglichen Teil der sich über neuntausend Quadratkilometer erstreckenden Wildnis zu erleben, denn normalerweise hielt ich mich überwiegend in der Nähe der Straßen und Wege auf, wenn ich Wölfe beobachtete.
Ich buchte meinen Flug diesmal nur bis Salt Lake City. Schon lange war ich nicht mehr die Strecke von Süden durch den Grand Teton Nationalpark nach Yellowstone gefahren. Im Winter ist dort wegen des Schnees kein Durchkommen. Aber jetzt, im Juli, wollte ich die Fahrt genießen.
Während des Fluges nach Denver hatte ich neben einem katholischen Priester gesessen. Im Zeitalter des Terrorismus beruhigte mich das irgendwie. Der Geistliche war in sein Buch vertieft. Ich nutzte die Zeit, um meine Aufzeichnungen noch einmal durchzugehen. Dan Stahler, Biologe des Wolfsprojektes, würde unsere kleine Forschungsgruppe leiten. Seine Ausrüstungsliste hatte ich sorgfältig abgearbeitet. Diesmal war ich mit schwerem Gepäck unterwegs. Eine ganze Zeltausrüstung musste mit. Zum Glück verlief die Pass- und Zollkontrolle beim Zwischenstopp in Denver ohne Probleme. Ich schaffte es tatsächlich, einen großen Koffer und einen riesigen Rucksack ohne Kontrollen durch den Zoll zu schleppen.
In Salt Lake City nahm ich den kleinen Allrad-Mietwagen |109| in Empfang. Der Pontiac Vibe bot genügend Platz, um zur Not darin zu schlafen. Die Nacht im Hotel war kurz. Meine innere Uhr stand noch auf deutscher Zeit. Also fuhr ich am nächsten Morgen früh los. Die Hitze der Wüstenstadt war bereits spürbar. Ich brauchte noch ein paar Ausrüstungsgegenstände für das Zelt und hielt an einer Mall. Die Geschäfte öffneten erst um zehn. Ich überlegte, wie ich die Zeit bis dahin verbringen sollte. Noch einen Café Latte bei Starbucks
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