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Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Titel: Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elli H. Radinger
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oder doch lieber gleich losfahren? Ein laut schmetterndes »God Bless America« riss mich aus meinen Gedanken. Die Hymne spielte im Country-Takt aus versteckten Lautsprechern des Einkaufszentrums, während überall aus dem Boden im Rhythmus der Musik Wasserfontänen hochschossen. Nur ein tollkühner Sprung rettete mich vor einer Dusche.
    So viel leidenschaftlicher Patriotismus musste belohnt werden. Ich blieb. Im selben Moment öffneten sich die Türen zu Barnes & Noble, eine der größten Buchketten Amerikas und mein persönliches Mekka. Ich verstand den göttlichen Hinweis im Land der Mormonen und trat in die klimatisierten Räume.
    Mit einem Stapel interessanter Bücher unter dem Arm ließ ich mich im Coffee Shop des Buchladens auf einem Sofa nieder. Bei einem großen Café Latte vergaß ich die Zeit und verpasste beinahe die Öffnung des Sportgeschäftes. Die junge Angestellte an der Hotelrezeption hatte es so eifrig empfohlen, als hinge ihr Leben von meinem Einkauf ab. »Es ist echt cool und hat absolut alles.«
    Das Sportgeschäft-das-alles-hat machte seinem Ruf jedoch keine Ehre. Ich bekam weder die sich selbstaufblasende Isomatte, die ich brauchte, noch konnte mir einer der unlustig herumstehenden Verkäufer sagen, welche US-Sockengröße der deutschen Schuhgröße siebenunddreißig entsprach. Frustriert beschloss ich, meine alte Isomatte weiter zu verwenden und meine Mitmenschen notfalls mit dem Duft mehrfach getragener Wandersocken zu erfreuen. Um 10.45 Uhr war ich endlich auf dem Weg nach Norden.
    |110| Auf einsamen Landstraßen fuhr ich die nächsten Stunden durch Idaho und Wyoming. Menschenleere Hügel- und Felsenlandschaften. Gescheckte Pferde auf Wiesen, die aussahen, als hätte ein Maler seine Farbtöpfe ausgeschüttet.
    Gegen 17.30 Uhr traf ich in Jackson Hole ein. Ich kaufte Lebensmittel für die nächsten Tage, tankte noch einmal voll und fuhr dann weiter in den Grand Teton Nationalpark. Mir stand nicht der Sinn nach Menschen. Es zog mich in die Stille zu den Tieren.
    Aber an Stille war zunächst überhaupt nicht zu denken. Bautrupps nutzten die kurze Sommersaison, um die Schlaglochstraßen in den Nationalparks zu erneuern oder zu verbreitern. Straßenschilder bereiteten die Autofahrer auf längere Wartezeiten vor. Ich vertrieb mir die Zeit mit der Beobachtung von Fischadlern. Auf Telefon- und Strommasten entlang der Straße fütterten sie in kunstvoll angelegten Nestern ihre Jungen. Schließlich lotste ein Follow-me-Wagen die Autoschlange etwa fünf Kilometer über unbefestigte Schotterstraßen an der Baustelle vorbei.
    Als ich den Südeingang des angrenzenden Yellowstone-Parks erreichte, ging gerade die Sonne unter. Heute würde ich es nicht mehr bis ins Lamar Valley schaffen. Ich fuhr nicht gern nachts. Zu viele Tiere waren unterwegs. Also steuerte ich den Madison-Campground an. Für stattliche achtzehn Dollar erhielt ich einen Platz zugewiesen – inmitten von meterlangen Luxuswohnmobilen. Es kühlte empfindlich ab und begann zu stürmen. Ich baute flink mein Ultra-light-Minizelt auf und richtete mich für die Nacht ein. Das Abendbrot nahm ich im Auto ein: Knäckebrot, Minisalamis und Käsesticks. Alles auch ohne Kühlschrank längere Zeit haltbar. Zum Nachtisch noch einen Schokoriegel. Im Schein der Taschenlampe brachte ich meine Tagebucheintragungen auf den neuesten Stand. Dann zog ich mich im Auto um, wobei ich darauf achtete, dass meine Kleidung frei von Essensgerüchen blieb. Die Lebensmittel und selbst die Zahnpastatube mussten im Auto bleiben. Wir befanden uns schließlich mitten im Grizzlygebiet.
    |111| In stockdunkler Nacht kroch ich in mein Zelt und in den Schlafsack. Nach fast zehn Stunden Fahrt war ich hundemüde und wünschte mir nichts sehnlicher als einen tiefen, erholsamen Schlaf.
    Aber weit gefehlt. Es wurde Mitternacht. Es wurde ein Uhr. Ich lag immer noch wach. Draußen stürmte es heftig. Angespannt und mit weit offenen Augen lauschte ich den ungewohnten Geräuschen hinter meiner viel zu dünnen Zeltwand. Etwas tropfte auf mein Dach. War es der Regen, oder waren es die Tannennadeln, die der Sturm herunterwehte? Die knisternden Grillfeuer der anderen Camper erloschen. Da … wieder ein Geräusch. Etwas huschte um mein Zelt. Ganz in der Nähe schrie ein Tier. Mein Rücken schmerzte. Mit jeder Drehung verhedderte ich mich mehr im Schlafsack und rutschte von der Isomatte. Mein letzter Zelturlaub war schon viele Jahre her. Im Yellowstone-Park genoss ich normalerweise den Komfort

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