Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
Silver Gate. Wir haben fünf davon erschossen, und den sechsten hab ich da hinterm Haus erwischt. Jetzt ist nur noch einer übrig. Aber den kriegen wir im Winter auch noch.«
Ich war überrascht, dass es hier schon Wölfe geben sollte, denn eigentlich galten sie seit siebzig Jahren als ausgestorben. Aber dann erinnerte ich mich an die letzte Wolfskonferenz in Edmonton und an das umstrittene Video von dem Wolf in Yellowstone.
»Darf man denn Wölfe schießen?«, wagte ich zu fragen.
»Nee, aber wir tun’s trotzdem. Wir schießen jeden Wolf, den wir sehen. Wir wollen keine Wölfe hier. Die Umweltleute, die Studierten, wollen die Tiere schützen. Aber die haben keine Ahnung. Die leben nicht hier. Die kommen nur für zwei Wochen hierher in ihre luxuriösen Ferienhäuser und verschwinden dann wieder, wenn es kalt wird. Leben in Kalifornien oder an der Ostküste und fressen Blumen. Die haben keine Ahnung von dem Leben hier. Wir kennen das Wild und wollen es vor den Wölfen beschützen. Darum kommt hier kein Wolf rein.«
Die Hasstirade ging weiter.
»Wenn ihr unbedingt Wölfe wollt, dann holt sie doch zu euch nach Deutschland, nach München oder in den Schwarzwald. Euer Hitler war ein toller Kerl. Der wusste, was zu tun war. Wir könnten hier auch einen Hitler gebrauchen. Man kann Wölfe nur noch mit dem Flugzeug jagen, weil sie zu |138| schlau sind. Und das geht hier nicht. Dann vermehren sie sich, und wir haben fünfhundert Wölfe im Park und kein Wild mehr. Was dann?«
Er erwartete keine Antwort und fuhr fort: »Wenn das Wild weg ist, töten sie unsere Rinder und Schafe. Und dann? Nee, keine Wölfe hier! Ich habe schon alle Tierarten erschossen und viele Menschen. War in allen Kriegen. Ich knall auch die Wölfe ab.« Mit diesen Worten ließ mich der ehemalige Air-Force-Colonel stehen und brauste aufgebracht mit seinem Fahrzeug davon. Ich blieb tief erschüttert zurück. So viel Wut. Das machte mir Angst. Würden Wölfe hier jemals überleben können?
Ich konnte seinen Ärger nachvollziehen. Aber wie sollte ich ihm erklären, dass Studien in anderen Ländern bewiesen haben, dass Wölfe keine Hirschpopulationen ausrotten und sich auch nicht unbegrenzt vermehren können, sondern sich stattdessen selbst regulieren. Nimmt bei zu vielen Wölfen die Beutetierpopulation ab, werden weniger Welpen geboren, und entsprechend können sich die Beutetiere wieder erholen. Dass es außerdem gegen Wolfsangriffe auf Rinder oder Schafe gute Schutzmaßnahmen, beispielsweise durch Herdenschutzhunde und Elektrozäune, gibt, das haben uns die süd- und südosteuropäischen Länder vorgemacht, die schon seit vielen Generationen mit Wölfen zusammenleben. Argumente hätte es also genug gegeben, um mein wütendes Gegenüber zu überzeugen. Nur schien mir dies sinnlos. Er wollte keine Wölfe in seiner Nähe haben. Punktum.
Drei Jahre und vier Monate später kehrten die ersten Wölfe ganz offiziell nach Yellowstone zurück. Den Colonel habe ich nie wieder gesehen. Sein Motel steht seit vielen Jahren leer und verfällt langsam.
Wer sich für so ein umstrittenes Tier wie den Wolf einsetzt, wird es auch immer wieder mit Gegnern zu tun bekommen. Der unverhohlene Hass auf die Wölfe und ihre Befürworter machten mir anfangs große Probleme. Mit persönlichen Feindseligkeiten konnte ich nie gut umgehen.
|139| Dann erinnerte ich mich an das Gespräch mit Renée Askins in Jackson. Ich bemühte mich zuzuhören und verstand mit der Zeit, dass der Zorn der Wolfsgegner sich nicht gegen mich richtete. Er richtete sich noch nicht einmal gegen die Wölfe direkt. Oft diente er nur als Vorwand. Es ging um sehr viel mehr. Um grundsätzliche politische Ansichten. Um Macht über Land und Tiere. Um Respekt und Achtung. Die Menschen, die seit Generationen auf ihrem Land lebten, wollten sich von »den Studierten von der Ostküste« nicht sagen lassen, wie sie leben sollten.
Manchmal waren hinter der Wut auch die Hilflosigkeit zu spüren und der Ärger, weil die eigenen Gewohnheiten und das eigene Weltbild infrage gestellt wurden. Viehzüchter haben es schon schwer genug. Sie arbeiten hart, um trotz sinkender Fleischpreise, hoher Steuern und langer Dürreperioden zu überleben. Jetzt schrieb ihnen auch noch die Regierung vor, welche Tiere sie auf ihrem Land dulden mussten. Ob Wölfe oder Fleckenkauz, geschützte Tiere sind für sie das Sinnbild des Unkontrollierbaren.
Ich sprach mit Jeff, dem Besitzer einer kleinen Ranch im Paradise Valley, einem Tal nördlich
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