Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
entspannt auf einer freien Fläche im Schnee. Sie ahnen nicht, dass sechzig Kilometer Luftlinie entfernt ein Hubschrauber betankt wird und Doug seine Ausrüstung kontrolliert und das Betäubungsgewehr lädt. Von Rick hat er über Funk die Meldung erhalten, dass die Wölfe jetzt gut sichtbar sind.
|178| Zuerst hört man nur ein leises Brummen. Die ersten Wölfe heben die Köpfe. Es sind die erfahrenen Tiere, die diese Prozedur schon einmal mitgemacht haben. Sie kennen genau den Unterschied im Klang zwischen einem Hubschrauber und einer einmotorigen Cessna, dem Biologenflugzeug, das einmal wöchentlich die Wölfe zählt. Sie schießen in die Höhe und rasen davon. Zurück bleiben reichlich verwirrte Jungwölfe, die sich keinen Reim auf all das machen können. Auch sie hören jetzt das Brummen näher kommen und stehen auf. Schauen sich irritiert um. Dann steigt der Hubschrauber hinter einem Berg auf wie in einem Actionfilm. Die Wölfe geraten in Panik und rennen davon. Einer flüchtet in den Wald. Der andere macht den Fehler, auf die freie Schneefläche zu laufen, dicht gefolgt von der lauten Höllenmaschine. Pfoten fliegen. Ohren sind angstvoll angelegt. Die Tiere versuchen mit hechelnden Zungen Luft zu schnappen. Aufstiebender Schnee, als der Helikopter sich hinabfallen lässt. Doug hängt angeschnallt in der Tür, das Gewehr im Anschlag.
Es ist »nur« ein Betäubungsgewehr, beruhige ich mich. Aber genauso sieht es aus, wenn in Alaska aus der Luft Jagd auf Wölfe gemacht wird, um sie zu töten. Eine Faust bohrt sich in meine Magengrube. Der Wolf will nur noch eins: Weg! Zu spät. Getroffen überschlägt er sich. Ist getroffen. Rappelt sich auf, läuft noch ein paar Meter und wird langsamer. Sinkt zu Boden.
Der Hubschrauber dreht sofort nach dem Schuss ab und landet ein Stück entfernt. Doug springt heraus und kämpft sich mit seinem Rucksack durch den hüfttiefen Schnee zu dem Wolf. Er setzt sich neben das betäubte Tier, zieht seine Jacke aus und bedeckt es damit, um es vor dem Auskühlen zu schützen. Ich weiß, wie sehr die Wölfe Doug am Herzen liegen. Er tut alles, um die ganze Prozedur so schnell wie möglich abzuwickeln. Er nimmt Maß. Zapft Blut ab. Bindet die Füße des Tieres zusammen, zieht es hoch und wiegt es. Zwischendurch streichelt er immer wieder liebevoll über das Fell. Weitere Untersuchungen. Alles wird notiert. Zuletzt bekommt |179| der Wolf das Halsband mit dem schweren Akku umgelegt. Dann ist der Biologe fertig und fliegt zurück zum Hauptquartier.
Der Wolf bleibt noch eine Weile liegen. Als er wach wird, hat er weiche Knie und taumelt ein wenig. Er ist orientierungslos und sucht seine Familie. Heult. Irgendwann werden sie zurückkommen. Vielleicht werden sie sich wundern, wie er riecht und was er für ein Ding um den Hals trägt.
Besenderungsaktionen laufen meist auf diese Weise ab. Sie erfordern eine Meisterleistung des Hubschrauberpiloten und schwere, körperliche Arbeit für den Biologen. Einen sechzig oder siebzig Kilo schweren Wolf zu heben und zu wiegen führt zwangsläufig zu Rückenproblemen.
Das Betäuben aus der Luft ist ebenfalls nicht ungefährlich für die Wölfe. Immer wieder werden Tiere dabei verletzt oder sterben. Trifft der Schütze nicht richtig, kann er den Wolf töten. Der Leitwolf einer Wolfsfamilie wurde einmal von der Betäubungsspritze in eine Sehne getroffen und verletzt. Er konnte auf dem rechten Hinterbein nicht mehr stehen. Und das in der Paarungszeit. Wir machten uns große Sorgen um den Fortbestand der Wolfsfamilie. Aber die Beutegreifer zeigten uns wieder einmal, wie hart im Nehmen sie sind. Der verletzte Wolf fand eine Möglichkeit, für Nachwuchs zu sorgen: Bei der Paarung umklammerte er seine Wölfin mit beiden Vorderpfoten und balancierte dabei auf dem gesunden Hinterbein.
Bei jeder Besenderungsaktion, die ich beobachte, stelle ich mir die Frage, ob es richtig ist, was hier geschieht. Und ich schäme mich, zugeben zu müssen, dass ich keine Antwort geben kann, ohne mich selbst zu beschuldigen. Denn natürlich nutze auch ich die Vorteile der Radiohalsbänder. Durch sie können wir sie orten und ihnen folgen. Dank der Telemetrie haben wir großartige Einblicke in das Leben der Wölfe erhalten. Erkenntnisse über Sozialstruktur, Sterblichkeit, Verhalten und das Funktionieren eines Ökosystems.
Ein anderes Argument der Forscher für die Radiohalsbänder |180| ist die abschreckende Wirkung, die sie auf Jäger haben. Sie würden keinen Wolf erschießen,
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