Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
standen alle wieder am Auto, begierig, die ersten Wölfe zu sehen.
Im kleinen Schalterhäuschen am Parkeingang zeigte das Thermometer minus zehn Grad, also recht warm für diesen Januartag.
Yellowstone hatte für die deutschen Gäste sein schönstes Winterkleid angezogen. Schon lange hatte es nicht mehr so viel Schnee gegeben wie im Winter 2009.
Als Katrin Casanova entdeckte, waren wir gerade erst zwei Stunden und unzählige Hirsch- und Bisonstopps unterwegs. Wir waren auf einen kleinen Hügel im Revier der Agate-Wölfe gestiegen, um einen besseren Überblick zu haben.
»Achtet auf die Hirsche«, erklärte ich.
»Wenn sie entspannt im Schnee liegen oder fressen, dann sind wahrscheinlich keine Wölfe in der Nähe. Stehen sie eng gedrängt in einer Gruppe und schauen alle in dieselbe Richtung, dann könnte dort etwas sein.«
Alle schauten gespannt mit dem Fernglas – bis Katrin rief. Casanova war unterwegs. Jetzt in der Paarungszeit war der wölfische Schwerenöter weit entfernt von seinem Heimatrevier auf Brautschau und verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war. Dafür erklang ganz in der Nähe Wolfsheulen aus zahlreichen Kehlen. Wir suchten vergeblich. Ein paar kleinere |190| Kojoten fielen mit ihren hellen Stimmchen in den Chor ein. Meine vier Wolfsgroupies standen starr mit aufgerissenen Augen. Katrin und Sabine hatten Tränen in den Augen.
Jeder, der zum ersten Mal in der Wildnis das Heulen von Wölfen hört, ist bewegt. Viele weinen. Der Klang scheint unsere Seele zu berühren. Etwas in unserem tiefsten Inneren. Eine Erinnerung an ein uraltes Leben, als wir noch mit der Natur verbunden waren. Eine Mischung aus Ehrfurcht, Freude und Angst.
Wann immer ich Gäste habe, denen ich die Wölfe zeige, bin ich dankbar, dass ich diesen Klang mit ihnen teilen kann. Ich sehe in die Augen der Menschen, die zum ersten Mal einen Wolf heulen hören, und weiß, dass wir alle noch tief in uns mit der Natur verbunden sind, egal, wie technisiert unser Leben auch ist.
Am nächsten Tag erlebten wir einen Kälterekord. Das im Auto eingebaute Thermometer blieb bei minus dreißig Grad stehen und ging kein Stück weiter runter, was mir merkwürdig vorkam, da es viel kälter zu sein schien. Wenn die Nase zuklebt und sich Eis an den Wimpern bildet,
muss
es kälter sein. Ich machte mich auf die Suche nach einem anderen Außenthermometer und fand schließlich eines am Hotel: minus vierzig Grad! Das war auch mein persönlicher Kälterekord in Montana. Das Auto tat sich schwer mit dem Starten, und die Landschaft lag wie erstarrt. Die Bisons ließen sich einschneien und bewegten sich kaum noch. Dann kam über Funk die Meldung, dass die Druids zu sehen waren – ausgerechnet von Dorothys aus, einem Aussichtspunkt, der Wind und Wetter am stärksten ausgesetzt ist. Aber unermüdliche Wolfsbeobachter wie uns konnte auch das nicht schrecken.
Ich war mit meinen Mukluks gut gerüstet. Jetzt kamen die kleinen Handwärmer zum Einsatz, die wir gestern noch im Mammoth-Shop gekauft hatten. In die Handschuhe gesteckt, halten sie den ganzen Tag die Hände warm. Die Ausrüstung wurde deutlich schwerfälliger. Zum Glück fror bei meinem |191| Zeiss-Spektiv das Okular nicht zu, aber Feineinstellungen ließen sich jetzt auch nicht mehr regulieren.
Meine vier Wolfsfans froren – und waren begeistert. Jetzt konnten sie zu Hause erzählen, dass sie minus vierzig Grad überlebt hatten. Mit den tief in die Stirn gezogenen Mützen und dem Gesichtsschutz, den sie trugen, hätten sie keine Bank betreten können, ohne einen größeren Polizeieinsatz auszulösen.
Den Wölfen machte die Kälte nichts aus. Während ihnen der Schnee teilweise bis zum Bauch reichte, zogen sie auf der anderen Seite des Tals den Berg hinauf. Mit ihrem dichten Winterfell sahen sie wunderschön aus. Gelegentlich spielten die Jungwölfe miteinander oder trödelten umher, bis sie dann schnellstens wieder Anschluss an die Gruppe suchten. Unterhalb der Bergkuppe verteilten sie sich und warfen dabei immer einen Blick auf die Hirsche, die sich über ihnen schon zusammengruppiert hatten. Aber die acht Hirschbullen mit ihren riesigen Geweihen waren dann doch nicht ihr Fall. Keine Chance für die Wölfe! Sie zogen weiter, offensichtlich hungrig, denn auf dem nächsten Bergkamm machten sie einen erneuten Versuch, sich am »Natur-Buffet« zu bedienen. Diesmal hatten sie es auf eine Gruppe Dickhornschafe abgesehen, die sich am Rand der Klippen zusammendrängten. Auch hier mussten sie
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