Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
Wolfsbeobachtungen mitzunehmen. Ein- bis zweimal jährlich biete ich Wolfsreisen für sehr kleine Gruppen an. Die Nachfrage ist enorm. Die neuntägigen Reisen sind teuer und auf vier Teilnehmer beschränkt, die eine Art »Auswahlverfahren« bestehen müssen. Dennoch sind die Touren zwei bis drei Jahre im Voraus ausgebucht. Die meisten erfüllen sich mit der Teilnahme einen Lebenstraum. So wie Katrin, Sabine, Rolf und Henning, die mit mir im letzten Winter unterwegs waren.
Als ich die vier in Bozeman am Flughafen abholte, hatten sie fast sechzehn Stunden Flug und fünf Stunden Wartezeit in Denver hinter sich. Von gemütlichen zehn Grad plus waren sie in nächtliche fünfundzwanzig Grad minus katapultiert worden. Kälte, Jetlag und Müdigkeit. Jetzt wollten sie nur noch ins Hotel. Die Weite und Schönheit von Montanas Big Sky Country würden sie erst morgen nach dem Aufstehen sehen.
Am nächsten Morgen trafen wir uns zum Frühstück. Alle hatten sich schon ein halbes Jahr vorher in Deutschland kennengelernt. Zu diesem Vortreffen werden alle eingeladen, die sich für eine solche Tour »bewerben«. Aus ihnen wähle ich dann die vier Teilnehmer aus, die für die Reise geeignet sind und am besten zusammenpassen.
»Wie entscheidest du, wer mit darf und wer nicht?«, werde ich oft gefragt. Ich kann es nicht sagen. Es ist eine reine Bauchentscheidung. Nach fast dreißig Jahren, in denen ich im Nebenjob Reisegruppen geleitet habe, weiß ich aus Erfahrung, wer für eine solche Tour geeignet ist. Leidensfähigkeit und viel Geduld sind die Hauptkriterien. Stundenlang bei eisiger Kälte auf Wölfe warten. Keine regelmäßigen Mahlzeiten. All dies müssen die Teilnehmer auf sich nehmen, um einmal im Leben einen Wolf in seinem natürlichen Umfeld zu sehen. Und dass sie Wölfe sehen werden, kann ich garantieren. Die Tage, an denen |188| ich
keine
Wölfe gesehen habe, kann ich an einer Hand abzählen.
»Seid ihr bereit für die Wölfe?«, fragte ich meine Gruppe nach dem Frühstück. Eifriges Nicken. Viele von ihnen waren schon lange wach und konnten es kaum erwarten, bis es endlich losging. Sie packten ihr Gepäck in den Kofferraum des Allrads und stiegen ein. Lange hatten sie auf diesen Moment gewartet: Sabine, dreiundvierzig, besitzt ein Hotel am Edersee, das im Winter geschlossen ist. Vom Wolfsgehege im Nationalpark Kellerwald auf der gegenüberliegenden Seite des Sees kann sie nachts das Heulen der Wölfe hören.
Katrin und Henning outeten sich beim Vortreffen schon durch die zahlreichen Aufkleber auf ihrem Landrover als Wolfsfans. Die vierzigjährige Kinderkrankenschwester und der einundvierzigjährige Ingenieur leben in der Nähe von Magdeburg. Sie sind viel in den osteuropäischen Wolfsgebieten unterwegs, hatten aber bisher noch keinen Wolf gesehen.
Rolf, achtundvierzig, ist Maurer und arbeitet im Sommer Überstunden, um die Winter in Yellowstone verbringen zu können. Der Wittgensteiner war schon viermal mit dabei. Seine scharfe Beobachtungsgabe hat ihm den Beinamen »Adlerauge« eingebracht.
Wir machten uns auf den Weg. In Livingston verließen wir die Autobahn und fuhren durch das Paradise Valley nach Süden. Bilderbuchwetter. Blauer Himmel. Links die weißen Gipfel der knapp viertausend Meter hohen Absaroka Range, rechts der Ausblick auf die Gallatin Range. Wir fuhren entlang des Yellowstone River, der mächtige Eisschollen vor sich herschob. An den durch den warmen Untergrund eisfrei bleibenden Stellen saßen Weißkopfadler auf den Bäumen. Gabelböcke und Wapitihirsche grasten friedlich nebeneinander an schneefreien Stellen. Meine Insassen kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
»Glaubt nur ja nicht, dass ich hier gleich beim ersten Hirsch |189| schon einen Fotostopp mache. Dann kommen wir nie vorwärts«, warnte ich scherzhaft mein Grüppchen.
Natürlich hielt ich beim ersten Hirsch an. Und auch der erste Bison war stets etwas ganz Besonderes, selbst wenn noch Hunderte andere vor viel schöneren Motiven kamen. Niemand erinnerte sich später mehr an den x-ten Bison oder Hirsch, aber alle Yellowstone-Touristen wissen noch, wo sie ihr erstes wildes Tier gesehen haben.
Wir fuhren weiter, vorbei am kleinen Ort Emigrant, wo Robert Redford »In der Mitte entspringt ein Fluss« und Teile vom »Pferdeflüsterer« gedreht hatte, durch den Yankee Jim Canyon bis nach Gardiner, dem nordöstlichen Tor des Yellowstone-Nationalparks. Schnelles Einchecken im Hotel.
»Zieht euch warme Sachen an«, warnte ich. Schon
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