Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
und fühle mich nie einsam. Wenn ich auf einem Hügel sitze und über das Lamar Valley schaue, dann stockt mir manchmal der Atem vor so viel Schönheit, Wunder, Einfachheit und Vielfalt. Es gibt eine Zeitlosigkeit in extremer Schönheit. Die Gegenwart verschwindet nicht, sie wird zur Ewigkeit.
Von den Wölfen habe ich gelernt, im Augenblick zu leben. Gerade wenn ich merke, dass ich durch äußere Umstände gestresst |215| bin und dazu neige, ungehalten oder ungeduldig zu werden, versuche ich innezuhalten und etwas zu tun, das mich entspannt. Ich gehe in den Wald oder spiele mit meinem Hund. Durch mein Leben in der Wildnis und die Beobachtung der Wölfe bin ich ein gutes Stück positiver geworden. Ich bemühe mich jetzt mehr, den anderen zu verstehen. Und ich versuche, meine Erwartung, dass andere Menschen ebenso denken müssen wie ich, zu reduzieren. Ich versuche nicht mehr, die Welt über Nacht zu verändern. Ich versuche auch nicht mehr, andere von meinen Ansichten zu überzeugen. Es gibt immer Menschen, die offen sind und die etwas verändern wollen. Es liegt an ihnen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich kann nur Anstöße geben.
Viele Menschen, die einmal wilde Wölfe gesehen haben, gehen dankbar nach Hause. Einige von ihnen werden sogar verstehen, dass es nicht nur reicht, Wölfe zu schützen, sondern dass wir auch die zu ihnen gehörende Natur schützen müssen. Gigantische Landflächen werden zersiedelt und bebaut. Zu erleben, wie sensibel die Natur ist, wie sich alles zusammenfügt, verändert uns vielleicht.
Wildnis ist in uns und um uns herum. Manchmal verdrängen wir, wie wichtig sie für uns ist. Wir sehnen uns nach ihr zurück. Das erlebe ich bei jedem Menschen, der zum ersten Mal in die Augen eines Wolfes sieht.
Die Wildnis und die Wölfe haben mich auf der Suche nach mir selbst etwas ganz Besonderes finden lassen: ein Gefühl von Demut und Ehrfurcht darüber, welcher Platz mir in der Natur zugewiesen wurde.
Ich habe in Yellowstone viele Wölfe kennenlernen dürfen, die mich mit ihrer Persönlichkeit berührt haben.
Da war die Wölfin, die einen Stock im Maul trug und ihre Welpen damit lockte, ihr durch den schnell fließenden Fluss zu folgen. Die Kleinen standen vor dem kalten Wasser und lernten ihre erste Lektion: Leben bedeutet, sich der Gefahr zu stellen.
Dann der berühmte Leitwolf der Druids, Nummer 21. Er hatte mehr Persönlichkeit als viele Menschen, die ich kenne. |216| Und er hatte wahrlich das Herz eines Wolfes. Kamen Bären in sein Revier, starrte er sie nur an und machte ihnen klar, dass dies sein Territorium war.
Ich sah Wölfe jagen. Mit hellwachen Augen umkreisen sie eine Herde. Dabei wird ihre Intelligenz ebenso spürbar wie ihre Grazie. Sie sehen das Unsichtbare, kennen die Schwäche ihrer Beute. Ich sah sie großwerden und Welpen aufziehen. Sah das graue Fell des Alters. Sah sie Wunden lecken und Kämpfe gewinnen. Sah sie mit blutigen Lefzen aus dem Kadaver eines Beutetieres auftauchen.
Sie haben mich Freiheit gelehrt und Treue. Verrat, Trauer und Verlust. Sie haben mir beigebracht, wie wichtig eine Familie ist, dass wir die begrüßen, die wir lieben, und dass wir das Leben feiern, selbst wenn es nur ein kurzer Augenblick im grünen Gras des Lamar Valley ist.
Sie lehrten mich die zu finden, die ich verloren glaubte, die Grenzen des Lebens zu respektieren und das zu verteidigen, was zu einem gehört, selbst bis zum Tod.
Ich sah sie spielen, heulen, kämpfen. Erlebte ihre Romanzen und Lieben.
Ich sah, wie sie das Leben um sich herum stärker, wilder, gesünder und geheimnisvoller machten.
Ich habe sie leben und sterben sehen, und ich behalte sie in meiner Erinnerung und für alle Zeit in meinem Herzen.
Mein Leben hat sich in Vielem verändert, seit ich mehr im Einklang mit der Natur lebe. Ich sehe mich jetzt als ein Teil meiner Umwelt. Das bedeutet auch, dass ich Verantwortung für sie trage. Ich kaufe meine Lebensmittel beim örtlichen Bauern und pflanze meinen Salat selbst an. Ich brauche keine Erdbeeren im Winter, sondern ernähre mich nach den Jahreszeiten. Ich spare Energie, fahre ein kleines Auto oder mit dem Zug. Zugegeben – meine Flüge nach Amerika zur Wolfsforschung passen nicht in dieses Konzept. Ich bin nicht perfekt und mache auch Fehler. Doch so wie die Wölfe gehe ich jetzt entspannter durch das Leben. Ich liebe meine Familie und |217| meine Freunde und genieße jede Minute, die ich draußen in der Natur bin. Wildnis finde ich auch im
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