Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
überblicken, die sich teilweise überschnitten: Little America mit den Agates |208| im Westen, das Slough-Gebiet mit den Sloughs im Süden und das Lamar Valley mit den Druids im Osten. Ich hatte die Spektive für die Gruppe aufgestellt. Es war der perfekte Tag mit Sonne, blauem Himmel und knirschendem Schnee. Wir schauten in alle Richtungen und suchten die Wölfe. Dann hörten wir hinter uns ein Heulen. Etwa fünfhundert Meter entfernt stand ein grauer Wolf und heulte sich die Seele aus dem Leib. Prompt folgte die Antwort von der anderen Seite des Tals. Dann fiel auch noch die dritte Wolfsgruppe ein. Wir waren umringt und eingebunden in einen Chor aus Wolfsstimmen. Wie ein Kreisel drehten wir die Spektive herum, um alle Wölfe zu orten und zu sehen. Die Agates waren am nahesten und sehr empört über die möglichen Eindringlinge in ihr Revier. Ihr Heulen ging in ein Warnbellen über. Die Druids schimpften auf die Agates, schließlich waren sie zuerst da. Und auch der einsame Heuler konnte sich nicht beruhigen. Über eine Stunde lang lieferten sich die Wölfe einen Superstar-Gesangswettbewerb.
Sabine, Katrin, Henning und Rolf nahmen am nächsten Tag schweren Herzens Abschied von Yellowstone. Sie alle wollen wiederkommen.
Es ist wunderbar, dass die Wölfe in Yellowstone so gut sichtbar sind und vielen Menschen die Gelegenheit geben, Einblick in ihr Familienleben zu nehmen. Dennoch bin ich manchmal traurig darüber, dass Yellowstone das Geheimnis der Wolfsbeobachtung verändert hat. In den ersten Jahren kostete es sehr viel Mühe, Geduld und Zeit, die großen Beutegreifer zu entdecken. Heute kann man an jedem gewöhnlichen Tag die Straße durch das Lamar Valley fahren und sie sehen. Wenn die Gegenwart von Wölfen eine alltägliche Erscheinung wird, verliert sie ihr Geheimnis. Dann verlieren auch wir etwas.
Mir helfen dann meine Reiseteilnehmer, die mir mit ihrer rückhaltlosen Begeisterung für die Schönheiten der Natur die Demut zurückgeben und mich wieder öffnen für das Zauberland, in dem ich sein darf.
|209| ANGEKOMMEN
Im Mai brach ich zu einer Wanderung in die Wildnis auf. Ich parkte mein Auto an Footbridge und packte meine Ausrüstung für eine Tageswanderung. Der Morgen war noch kühl, aber der Wetterbericht stimmte mich auf einen warmen Sonnentag ein. Noch stand ich als Einzige auf dem Parkplatz. Rick war schon vorbeigefahren und hatte mir zugewinkt. Anscheinend gab es im Soda Butte Valley keine Wolfsignale. Ich war heute sowieso weder auf Bären- noch auf Wolfssuche. Ich wollte einfach nur in die Wildnis eintauchen.
Das Fernglas um den Hals, verzichtete ich darauf, das schwere Spektiv mitzunehmen. Aber das Bärenspray musste bei einer Wanderung im Grizzlygebiet sein. Meine kleine Kamera und ein Notizbuch stopfte ich in den Anorak, der aus allen Nähten zu platzen drohte. Im Rucksack befand sich Regenkleidung, ein leichtes Sweatshirt, ein Erste-Hilfe-Päckchen, ein aufblasbares Sitzkissen, Verpflegung und das obligatorische Tagebuch. Sollte ich jemals in eine Schlucht stürzen und nicht mehr gefunden werden, konnte ich so noch ein paar »letzte Worte« für meine Familie hinterlassen. – Ich hatte ganz offensichtlich zu viele Abenteuergeschichten gelesen. Zwei Wasserflaschen in den beiden Seitentaschen des Rucksacks machten ihn ziemlich schwer. Ich hievte ihn auf den Rücken und zog die Gurte fest. Dabei befestigte ich am Hüftgurt auf der einen Seite das Bärenspray und auf der anderen Seite das Funkgerät. Als ich dazu noch die Wanderstöcke in die Hand nahm, überlegte ich mir belustigt, wie ich bei einem möglichen Bärenangriff den Gebrauch all meiner »Waffen« koordinieren sollte.
Ich machte mich auf den Weg zum Specimen Ridge Trail, der |210| in einem großen Bogen nach Süden ins Cache Creek Gebiet führt. Vom Parkplatz stieg ich zum Lamar River hinunter und lief über die kleine Holzbrücke weiter durch die hüfthohen Wüstenbeifußsträucher über eine große Ebene. Plötzlich sah ich eine Bewegung von links. Ein Kojote trabte furchtlos an mir vorbei und ignorierte mich. Dass ich ihm noch nicht einmal einen Seitenblick wert war, schmerzte ein wenig. Links neben mir erhob sich Dead Puppy Hill. Der Hügel wurde so genannt, weil vor vielen Jahren Wölfe dort eine Kojotenhöhle ausgeräumt und alle Welpen getötet hatten. Noch heute ist er ein beliebtes Höhlengebiet für die kleinen Kaniden. Ein Murmeltier sonnte sich auf einem Stein. Weit über mir, am Mount Norris, grasten
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