Wolfsliebe - Tochter der Wildnis
Schritte sind weicher, leiser.«
Als geübte Jägerin hatte sie bereits alle Geräusche im Haus aufgesogen und sich perfekt ihrem Umfeld angepasst. Die kurze Zeit, die sie in dem Haus verbracht hatte, hatte ihr gereicht, die einzelnen Geräusche voneinander zu unterscheiden.
Aufmerksam lauschte sie den dumpfen Schritten, die nun vor ihrer Zimmertür haltmachten. »Die Schritte sind schwer« , überlegte Tikia. »Ein Mann? Etwa Kenzô?«, fragte sie sich und kuschelte sich fester in die Bettdecke. »Weiß er denn nicht, dass ich hier in diesem Zimmer bin?«
Tikia starrte mit angehaltenem Atem zur Türklinke, die langsam und behutsam nach unten gedrückt wurde.
Leise betrat eine hochgewachsene Gestalt den Raum und schloss die Tür wieder hinter sich. »Warum sind die Fenster auf?«, murmelte die Gestalt kopfschüttelnd und ging auf sie zu.
Atemlos verharrte Tikia in ihrem Bett. »Das ist kein Mann!«, schoss es ihr durch den Kopf. »Das ist nicht die Stimme eines erwachsenen Mannes!« Ängstlich verfolgte Tikia die Gestalt mit den Augen.
Die Person ging nun an ihrem Bett vorbei, schloss die Fenster, drehte sich behutsam wieder um, kam an ihr Bett.
Für einen Augenblick fiel das Mondlicht auf sein Gesicht, und Tikia erkannte, dass es sich bei der Gestalt um einen Jungen ihres Alters handelte, und ihr Herz schlug ihr bis zum Halse.
»Das ist nicht Kenzô!« , dachte sie voller Panik. »Das ist irgendein wildfremder Junge, der sich Zugang zu Shilas Haus verschafft hat.«
Unschlüssig schaute sie vom Jungen zum Jagdgewehr, das neben ihrem Bett auf dem Nachttischchen lag. Behutsam drehte sie sich ganz zur Seite und streckte die Hand nach dem Gewehr aus.
Doch der Junge war schneller und griff sich das Gewehr, selbstsicher hielt er es auf Anschlag. »Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber wenn Sie sich nicht augenblicklich zu erkennen geben, werde ich Sie erschießen!«, sagte er mit drohender Stimme.
Tikia lag wie erstarrt in ihrem Bett und blickte den Jungen ungläubig an, der mit erhobenem Jagdgewehr vor ihr stand. »Er ist unglaublich schnell!« , dachte sie ängstlich und lugte vorsichtig zum Fenster. »Koon!« In Gedanken rief sie nach ihrem treuen Gefährten. »Koon, Hilfe!« Ihr Bitten blieb jedoch unerhört.
»Los! Stehen Sie auf und treten Sie ans Fenster, damit ich Sie sehen kann!«, befahl der Junge barsch und winkte mit dem Jagdgewehr Richtung Fenster.
»Er hält das Gewehr wie ein erfahrener Jäger! Der tut nicht nur so, als könnte er schießen«, dachte Tikia verzweifelt und folgte hilflos dem Befehl des Jungen.
Aufmerksam verfolgte er jede ihrer Bewegungen, als sie sich aufrichtete, aus dem Bett stieg und zögernden Schrittes ins Licht des Mondes trat.
Angriffslustig schaute Tikia zu dem Jungen. Niemals, niemals würde sie vor einem Eindringling zurückweichen oder kampflos aufgeben. »Das hier ist mein neues Zuhause, das lassich mir von niemandem nehmen!« , dachte sie zornig. Ihr Körper bebte vor innerer Anspannung. »Wer bist du?«, zischte sie leise.
Doch der Junge hatte wortlos das Gewehr gesenkt und starrte sie mit offenem Mund an. Dann wanderten seine Blicke ungeniert von ihren Schultern zu ihren Schenkeln und zurück.
»Was zum …?« , fragte sich Tikia und sah verwirrt an sich hinab.
Der junge Fremde konnte seinen Blick nicht mehr von Tikia lassen. Er fragte sich gar nicht, warum sie mit zitternden, nackten Beinen vor ihm stand, noch dazu im Nachthemd seiner Mutter. Es reichte ihm vollends, dass sie da war und dass er sie anschauen konnte. Sein Herz schlug schneller, und leise schmunzelnd blickte er dem Mädchen, das ihn verwirrt ansah, in die Augen.
Nicht eine Sekunde wunderte er sich darüber, dass es sie nicht zu stören schien, dass sie halbnackt vor einem jungen Mann stand, und auch, dass sie ein geladenes Jagdgewehr auf ihrem Nachttischchen liegen hatte, schien ihn momentan nicht im Geringsten zu interessieren.
Jedoch war ihm sofort klar, dass dieses Mädchen nicht wie die anderen Mädchen war, denen er tagtäglich in der Schule begegnete. Dieses Mädchen war anders, geheimnisvoll, anziehend. In welchem Punkt Tikia sich von den anderen Mädchen unterschied, war ihm allerdings noch nicht klar.
»Er sieht in mir keine Gefahr …«, schmunzelte Tikia. »Gut!«
Ohne jede Vorwarnung stürzte sie nach vorn, entriss dem verwunderten Jungen das Jagdgewehr und schlug es ihm gegen den Kopf.
Leicht benebelt fiel der junge Mann zu Boden und blinzelte erstaunt in das Mondlicht. Sein
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