Wolfslied Roman
Augenbrauen hoch.
»Ich habe Pia nicht fallengelassen … das wissen Sie genau.« Er begann mit den Fingern aufzuzählen. »Erstens habe ich ihr eine Ausbildung ermöglicht. Zweitens betreue ich sie. Drittens bekommt sie von mir Kost und meist auch Logis. Und viertens bezahle ich sie.« Er senkte die Hand, an der er abgezählt hatte, und meinte dann: »Das Einzige, was ich ihr nicht erlaube, ist der Zutritt zu meinem Schlafzimmer. Und das soll auch so bleiben.«
Ich setzte mich aufrecht hin. Dieses Detail war mir neu. »Hat Pia denn versucht, in Ihr Schlafzimmer einzudringen?«, wollte ich wissen.
»Sie hat mir erklärt, dass sie in meinem Schlafzimmer
schlafen wolle, wobei sie vorschlug, zusammengerollt am Fußende des Bettes zu liegen. Schauen Sie mich nicht so entsetzt an. Natürlich habe ich abgelehnt.« Erneut fasste er in seine Jackentasche, erinnerte sich dann daran, dass es keine Pillen mehr gab, und rieb sich stattdessen das Gesicht. »Ich könnte ohnehin nicht mit dem törichten Ding schlafen, selbst wenn ich das wollte.« Er sah mich direkt an und meinte dann betont sachlich: »Die Medizin, die das Fortschreiten meiner Krankheit unter Kontrolle hält, macht die sexuellen Organe nämlich funktionsuntüchtig.«
Ich warf einen Blick auf die Mutter mit ihrem Sohn, um festzustellen, ob sie uns hören konnten. Doch zum Glück waren sie damit beschäftigt, die Brotrinde des Sandwiches zu entfernen.
»Das wusste ich nicht«, sagte ich etwas ungeschickt. Ich musste an unser kleines Techtelmechtel vor der Hütte denken. Instinktiv berührte ich den Mondstein unter meinem Pulli, und für einen kurzen Augenblick sah ich die Umrisse eines anderen Mannes anstelle von Malachy Knox. Es war eine größere, kräftigere und dunklere Gestalt, die von Leidenschaft und nicht von Vernunft geleitet wurde. »Haben Sie … Äh … haben Sie Pia von Ihrem Problem erzählt?«
»Natürlich habe ich das«, erwiderte er, wobei er sich nicht die geringste Mühe machte, seine Verärgerung zu verbergen. »Ich dachte, dass brutale Offenheit die ganze Geschichte vielleicht zu einem raschen Ende bringen könnte. Aber das hat es nur noch schlimmer gemacht. Pia hat mir daraufhin ständig in den Ohren gelegen, die Medikamente doch einfach wegzulassen.«
Ich bemühte mich, nicht zu grinsen. »Verstehe.«
Er ließ einen Moment lang seine Schultern kreisen und
blickte über meine Schulter zu einem abstrakten Bild an der Wand, auf dem Kreise innerhalb von Quadraten abgebildet waren, die sich wiederum in Kreisen befanden. »Ich hatte ihr in den nächsten Tagen erklären wollen, dass ich selbst ohne diese Komplikation keinerlei Bedürfnis verspüre, mich auf so etwas teuflisch Vertracktes wie sexuelle Verwicklungen am Arbeitsplatz einzulassen.«
»Vielleicht sollten Sie das allerdings etwas weniger abstrakt formulieren«, schlug ich vor.
Malachy warf mir einen raschen Blick zu, und für einen Moment sah ich, wie seine Augen aufblitzten. »Wenn ich solche Absichten hätte«, meinte er, »würde ich mir eine Frau suchen, mit der ich mich auf intelligente Weise auf derselben Wellenlänge unterhalten kann.«
Wir schwiegen. Ich wusste nicht so recht, was ich von dieser Bemerkung halten sollte, als er hinzufügte: »Wie zum Beispiel mit Ihnen.«
Ich war jedoch bereits vergeben. Nach Reds Limmikin-Tradition war ich jetzt sogar verheiratet. Und bis zu diesem Augenblick hatte ich mich diesbezüglich auch im siebten Himmel gefühlt. Doch seit mich Malachy angesehen hatte, hatte mein Herz schneller zu schlagen begonnen und mein Blut war in Wallung geraten. Er begehrte mich. Die Tatsache, dass er es so deutlich aussprach, ließ es mir warm ums Herz werden. Dies und mein Wunsch, von meinem brillanten Lehrer als intelligent und außergewöhnlich eingestuft zu werden, schmeichelten mir. Sonst nichts.
Trotz des seltsamen Zwischenfalls vor der Blockhütte fühlte ich mich von Malachy körperlich nämlich nicht angezogen. Außerdem hatte er seine Gefühle für mich ohnehin nur theoretisch formuliert.
»Danke«, sagte ich. »Es schmeichelt mir, dass Sie sich so etwas mit mir vorstellen können. Ich meine, wenn es die Medikamente nicht gäbe …« Ich brach ab, da ich merkte, wie ich mich um Kopf und Kragen redete.
»So etwas kann ich mir auch mit Medikamenten vorstellen. Die Medizin hat keinen Einfluss auf die Lust an sich, wissen Sie - nur darauf, wie man sie befriedigen kann.« Malachy schenkte mir ein Lächeln, das ausgesprochen männlich wirkte.
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