Wolfsmagie (German Edition)
Nicht, weil sie Angst vor dem Ertrinken gehabt hätte. Nun nicht mehr. Liam war bei dem Versuch, sie zu retten, gestorben. Und das in dem Glauben, dass Kris ihn hasste. Sie hatte sich einmal gefragt, ob sie je wieder etwas Vergleichbares empfinden würde wie das, was sie für Liam empfand. Jetzt wusste sie, dass das nicht möglich war, und ihr Lebenswille wurde schwächer.
Trotzdem würde sie nicht zulassen, dass Dougal damit davonkam, ihren Tod Nessie anzulasten. Und das konnte sie nur verhindern, indem sie überlebte.
Darum leistete Kris hartnäckig Widerstand. Sie stemmte die Absätze in den Untergrund; sie kämpfte und sie schrie. Dougal zerrte und kratzte und fluchte.
Dann schlug er sie.
Hinter ihm öffnete das Ungeheuer von Loch Ness die Augen.
An Land war Liam langsam und behäbig. Doch im Wasser war er der König. Also stellte er sich tot, während er darauf wartete, dass dieser mörderische Bastard Dougal Scott noch ein winziges Stück näher kam.
Klatsch!
Das unverkennbare Geräusch von Fleisch, das auf Fleisch traf, veranlasste Liam, die Augen zu öffnen, als Dougal Kris wieder schlug.
Während sein Körper bereits in tieferes Gewässer glitt, reckte Liam den Hals vor und schloss die Zähne um Dougals Oberschenkel; er biss tief hinein und schmeckte Blut. Beide droschen um sich, aber der Mann war kein Gegner für das Ungeheuer. Dougals Kreischen erstarb, als er unter Wasser gezogen wurde.
»Liam, nein!«, schrie Kris, aber es war zu spät. In der Sekunde, als Dougal ihren Tod beschlossen hatte, war sein eigener besiegelt gewesen.
Gemeinsam versanken Liam und Dougal in den eisigen Fluten des Loch Ness.
27
»Kris!«
Ihr Bruder kam aus dem Wald gestürzt. Seine Augen flogen zum Wasser. Dort waren nur noch ein paar Wirbel und Blasen zu sehen. Trotzdem genügte ein Blick in sein Gesicht, und Kris wusste, dass er die ganze Szene beobachtet hatte.
»Ich lasse nicht zu, dass du ihm etwas antust«, sagte sie.
»Kris …«
»Ich habe dich in meinem ganzen Leben noch nie um etwas gebeten, Marty, aber darum bitte ich dich: Ruf Edward nicht an. Lass Nessie einfach Nessie bleiben. Lass Dougal tot bleiben. Erfinde, was immer du erfinden musst. Fingiere, was immer du fingieren musst. Es interessiert mich nicht.«
Er legte die Hand an ihr Gesicht. »Dougal hat dich geschlagen.«
Kris zuckte gleichgültig die Schultern. Sie gewöhnte sich allmählich an schwarze und blaue Flecken.
»Ich hätte ihn auch getötet«, brummte Marty. Kris guckte ihn skeptisch an. »Traust du mir wirklich zu, dass ich Liam Edward ausliefere?«
Ach, verdammt. Er wusste es.
»Woher …«
»Dougal hinterließ uns eine Nachricht, wo wir euch finden würden. Ich verstehe nicht, warum …« Marty ließ den Blick schweifen und entdeckte die Kamera im Schatten der Bäume. »Hmm«, machte er, als ihm augenscheinlich die Erkenntnis dämmerte. »Jedenfalls hat Liam sich in Nessie verwandelt, wodurch er bedeutend schneller hierher gelangte als ich.«
»So viel schneller nun auch nicht«, widersprach Kris. »Hast du den Geschwindigkeitsrekord zu Land gebrochen?«
»Fast.«
»Wirst du Liam in Frieden lassen, auch wenn er gerade einen Menschen getötet hat?«
»Dougal hatte mehr Ähnlichkeit mit einem Monster als alles, was ich seit langer Zeit gesehen habe. Was für ein verschlagener, blutrünstiger Drecksack. Ich hätte ohnehin den Ein-Anruf-genügt-Typen kontaktieren müssen. Wie ich sehe, hat Grant mir die Mühe erspart.«
»Was ist mit Edward?«
»Ich werde ihm sagen, dass ich mich um das Problem gekümmert habe.«
»Und wenn er herausfindet, dass du lügst?«
Marty zog eine Grimasse. »Lass uns einfach hoffen, dass das nicht passiert.«
Kris fühlte sich schrecklich dabei, ihren Bruder um eine Lüge zu bitten, die er zu allem Übel auch noch Edward Mandenauer auftischen sollte. Aber welche Alternative hatte sie?
»Wir könnten ihm die Wahrheit sagen«, wagte Marty den Vorstoß.
»Die da wäre?«
»Das Seeungeheuer ist harmlos. Es besteht kein Anlass, es zu töten. Wie du sagtest: Lass Nessie einfach Nessie bleiben.«
»Du glaubst, Mandenauer wird sich darauf einlassen?«
Marty seufzte. »Wahrscheinlich nicht.«
»Dann behalte die Sache für dich.«
»In Ordnung. Aber, Kris …«
Sie starrte aufs Wasser, darauf hoffend, dass die vertrauten dunklen Buckel auftauchten, doch das geschah nicht.
»Du hast keinerlei Zukunftsperspektive mit ihm.«
Kris zwang sich, ihren Bruder anzusehen. »Warum nicht?«
»Er ist ein
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