Wolfsmagie (German Edition)
Hatte er sie schon die ganze Zeit zum Haus getragen? Sie war zu benommen, um sicher sein zu können.
»Was ist passiert?«, fragte sie.
»Ich ging spazieren, da sah ich plötzlich, wie jemand dich zum Wasser schleifte.«
»Jemand?«
Liam schaute sie verdutzt an. »Ja. Dachtest du, es könnte ein Etwas sein?«
Sie schüttelte den Kopf, dann musste sie sich darauf konzentrieren, sich nicht zu übergeben, als der Schmerz sie genau dazu aufforderte. »Schsch«, murmelte sie.
»Ich hab nichts gesagt«, flüsterte Liam und setzte sich wieder in Bewegung.
Kris legte die Wange an seine Schulter und schloss die Augen. Er duftete nach Süßwasser und Mondlicht.
»Deine Haare sind nass«, stellte sie fest.
»Deine auch.«
Kris fasste nach oben. Er hatte recht.
»Du warst sehr nah am Wasser.« Er sprach mit gedämpfter Stimme, und das Brummen in seiner Brust kombiniert mit der Kühle der Nacht und der Feuchtigkeit auf ihrer Haut verursachte Kris ein Frösteln. Liam schmiegte sie enger an sich, trotzdem wurde sie nicht warm. »Du hast dich gewehrt, als ich dich hochgehoben habe. Was kein Wunder ist.«
Sie erreichten das Cottage, und Liam stellte Kris auf die Füße, dabei hielt er den Arm jedoch weiter um ihre Taille geschlungen. Kris war dankbar für die Stütze. Ihre Hände zitterten wie die einer Meth-Abhängigen. Liam musste sie mit seinen stabilisieren, damit sie die Tür aufsperren konnte.
Kris war ausgekühlt, aber Liam war noch kälter. Als sie eingetreten waren, versuchte sie, ins Schlafzimmer zu taumeln, um Decken zu holen, doch sie schaffte es nur bis zur Couch und musste sich setzen.
Mit schnellen Bewegungen zog Liam den Quilt vom Bett und legte ihn über Kris.
»D-d-da sind noch mehr im Schrank.« Fast hätte sie sich mit ihren klappernden Zähnen auf die Zunge gebissen.
»Ich brauche keinen.«
Obwohl Liams Haut kalt gewesen war, hatte er im Gegensatz zu ihr keine Gänsehaut. Er schlotterte nicht. Was verblüffend war, wenn man bedachte, dass er keine Jacke trug und das rauchfarbene T-Shirt seine Arme freiließ.
»Deine H-h-hände sind w-wie Eis.«
Er inspizierte sie, dann verschränkte er sie hinter dem Rücken. »Ein Familienfluch.« Er zuckte mit den Achseln. »Mir haben schon viele Frauen gesagt, dass ich ein kaltblütiger Bastard sei.«
Kris runzelte die Stirn. Liam wirkte nicht im Entferntesten kaltblütig. Er hatte ihr gerade das Leben gerettet.
»K-k-kalte Hände, warmes H-herz«, stammelte sie.
»Ich glaube, eine oder zwei erwähnten außerdem, dass ich kein Herz habe.«
Kris wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Er schien entschlossen, sich selbst in ein schlechtes Licht zu rücken, und das, obwohl er gerade seine Gesundheit, wenn nicht gar sein Leben riskiert hatte, um sie zu retten.
Nur vor wem?
»Tee«, verkündete Liam und eilte zur Kochnische.
»Ich möchte keinen …«
»Doch, das möchtest du«, unterbrach er sie. »Und ich auch.«
Sie schwiegen, während er den Kessel aufsetzte, Tee und Tassen heraussuchte. Hatte sie je einen auch nur halb so schönen Mann gesehen? Warum verkroch er sich in Drumnadrochit? Allein mit seinem Gesicht könnte er eine Menge Geld verdienen.
Ihr Blick glitt über seine muskulösen Arme, die strammen Bizepse, den flachen Bauch. Sein Körper würde ihm noch mehr einbringen.
Aber war es wirklich erstrebenswert, mit dem Aussehen seinen Lebensunterhalt zu verdienen? Ständiges Diäthalten, Gesichtsbehandlungen, Workouts, Friseurtermine. Sich vorschreiben zu lassen, was man zu tun, was man anzuziehen, was man zu essen hatte und was nicht.
Kris war eine kleine Nummer im Fernsehzirkus, aber manchmal hing selbst ihr das alles gründlich zum Hals heraus. Vielleicht hatte Liam die richtige Einstellung. Wenigstens war er glücklich hier.
Oder auch nicht. Er ließ die Schultern hängen, genau wie den Kopf. Seine Miene wirkte nicht besonders glücklich. Unwillkürlich fragte sie sich, welche Geister der Vergangenheit ihn wohl heimsuchten.
Er kam mit zwei dampfenden Teetassen zurück und reichte ihr eine. Kris nahm sie, augenblicklich dankbar für Liams Hartnäckigkeit, als die heiße Tasse ihre Finger auftaute und der aufsteigende Dampf das Gleiche bei ihren stechenden Wangen bewirkte.
»Trink.« Liam führte die Tasse an ihre Lippen. »Das wird das Frösteln vertreiben.«
Kris tat wie geheißen, und wenige Momente später zeigte sich, dass er recht hatte. Als sie wieder zu ihm aufsah, starrte er, sein perfektes Gesicht von einem Stirnrunzeln
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