Wolfsmagie (German Edition)
an ihrem Ecktisch, und allem Anschein nach stritten sie sich wieder, falls das Bier, das aus Effys Glas auf den Tisch schwappte, ein Indiz dafür war. Da Kris auch nach ihnen Ausschau gehalten hatte, verschob sie das Thema Liam Grant auf später.
Zwar machten die Leute ihr Platz, als sie sich Entschuldigungen murmelnd ihren Weg zu den Camerons bahnte, aber sie wurde weder gegrüßt noch angelächelt. Als Amerikanerin in einer schottischen Bar fühlte sie sich ein wenig deplatziert. Niemand würde sie oder einen anderen Auswärtigen mit Geld in der Tasche auffordern zu gehen, aber das bedeutete nicht, dass die Einheimischen sie in ihrem Pub willkommen heißen mussten.
Als Kris sich dem Tisch der Camerons näherte, warf Effy ihrem Bruder einen bösen Blick zu, der so wenig zu ihrem engelsgleichen Gesicht passte, dass Kris ein Lachen unterdrücken musste.
»Es gibt keinen größeren Narren nich als ’nen alten Narren«, zischte Effy.
Rob trank wortlos einen Schluck von seinem Bier.
»Aaah!« Effy hob ihr eigenes Glas in der eindeutigen Absicht, ihrem Bruder den Inhalt ins Gesicht zu schütten.
Rob setzte seines klirrend ab, dann zeigte er mit dem Finger auf sie und sagte: »Das tuste nich.« Seine Stimme war so ruhig wie der Loch Ness in einer windstillen, mondhellen Nacht.
Effys finsterer Blick wurde noch finsterer, aber sie tat es nicht.
Durch seine Bewegung rutschte Robs langer Hemdsärmel hoch, sodass eine tätowierte Flosse an seinem Handgelenk sichtbar wurde.
»Hallo«, sagte Kris.
Die beiden wandten ihr im exakt gleichen Moment mit dem exakt gleichen Neigungswinkel die Köpfe zu. Doch während in Effys Gesicht ein Ausdruck der Begrüßung stand, noch ehe sie Kris erkannte, zeigte Robs überhaupt keine Mimik.
Kris deutete auf sein Handgelenk. »Kann ich das sehen?«
Er guckte nach unten, dann zog er hastig den Ärmel über das Tattoo.
»Es sieht aus wie eine Ente«, kommentierte sie.
»Sieht aus wie ’ne Ente und quakt wie ’ne Ente.« Er nahm einen langen Zug von seinem Bier. »Dann muss es wohl ’ne Ente sein.«
Hieß das, dass es eine Ente war?
»Tätowierungen scheinen sich in Drumnadrochit großer Beliebtheit zu erfreuen«, bemerkte Kris.
»Ach nee«, staunte Effy. »Wer hat denn noch eine?«
Sie senkte die Augen vielsagend auf Effys Busen, doch als sie ihn wieder hob, wirkte die Frau noch immer nur milde neugierig. Kris fand nicht den Mut, sich nach ihrem Tattoo zu erkundigen. Vielleicht war es ja doch ein Bluterguss gewesen.
»Jamaica trägt eine Schlange an ihrem Knöchel«, sagte sie stattdessen. »Und Alan Mac hat einen …« Sie unterbrach sich. Streifen war nicht sehr aussagekräftig.
»Ach, nicht wichtig«, winkte sie ab. Welchen Unterschied machte es, ob ganz Drumnadrochit tätowiert war? Daraus ließ sich kein anderer Schluss ziehen, als dass es im Dorf eine hohe Toleranz für Körperkunst gab.
»Setzen Sie sich doch zu uns«, lud Effy sie ein.
Rob trank stoisch weiter.
»Eigentlich bin ich … mit jemandem verabredet«, antwortete Kris. »Ich wollte Sie nur fragen …«
»Sie ham schon ’nen männlichen Freund gefunden?« Effy patschte mit den Händen auf ihre Apfelbäckchen. »Wie reizend.«
»Sie könnte auch ’nen weiblichen Freund gefunden haben«, brummte Rob.
Effy legte die Hand um ihr Glas und streichelte es nachdenklich, dabei starrte sie ihren Bruder finster an. Rob trank weiter. Er schien nicht beunruhigt zu sein. Trotzdem wechselte Kris das Thema, um die Wogen zu glätten. »Ich wollte fragen, ob Sie die Tür des Cottage repariert haben?«
Effy legte das Gesicht in verwirrte Runzeln, und Kris’ Herz vollführte einen schnellen, nervösen Salto. Dann murmelte Rob: »Glaum Sie etwa, dass irgendein verrückter Handwerker durchs Hochland spaziert und unterwegs alles repariert, was kaputt is?«
Nun guckten ihn Effy und Kris finster an. Rob nippte gemächlich an seinem Bier, bevor er fortfuhr: »Natürlich hab ich sie repariert.«
»Was war mit der Tür?«, fragte Effy.
»Was war nich mit ihr?«, gab Rob zurück.
»Woher wussten Sie, dass sie kaputt ist?«
»Hab heut Morgen ’ne Nachricht an meiner Haustür gefunden.« Jetzt runzelte er die Stirn. »Die war gar nich von Ihnen?«
Kris schüttelte den Kopf. Vielleicht war sie von …
Sie spürte ein hauchzartes Streichen von Fingerspitzen an ihrem Arm und wusste, dass Liam da war.
Kris drehte sich um, halb in der Erwartung, niemanden zu sehen. Dass es die geisterhafte Berührung eines Phantoms gewesen
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