Wolfsmagie (German Edition)
er zur Größe des nächstgelegenen Berges an und schleudert seinen ahnungslosen Passagier in den Abgrund.«
Kris fiel darauf keine Erwiderung ein, außer: »Was haben Sie noch?«
»In Australien wurden in abgelegenen Gegenden mehr als ein Dutzend kopflose Leichen aufgefunden. Die Ermittlungen ergaben, dass sie über viele Kilometer von einem Menschen mit extrem großen Füßen verfolgt wurden.« Kris hob die Brauen und wartete auf mehr. »Unter den Einheimischen begannen Gerüchte über den Thardid Jimbo die Runde zu machen, einen kannibalischen Riesen, der seine Lieblingsspeise – Menschen – jagt und sich ihre Köpfe als Delikatesse einverleibt.«
»Okay«, kommentierte Kris. Etwas anderes fiel ihr nicht ein.
»In der Hudson Bay entdeckte man Steinhaufen, unter denen fünf tote Opfer lagen, mit aufegschlitzten Rücken und durchlöcherten Körpern.«
»Welche Art Monster würde so etwas tun?«
Edward antwortete, als wäre die Frage nicht rhetorisch gemeint. »Der Ikuutayuuq , eine Inuit-Sagengestalt, die übersetzt heißt: ›Einer, der bohrt.‹ Ein Ikuutayuuq fängt jeden Menschen in seinem Territorium ein, dann foltert er ihn zu Tode und errichtet einen Steinhaufen, als Zeichen für seine Tat.«
Kris grübelte über seine Worte nach. Irgendetwas entging ihr noch immer. »Wie kommen Sie darauf, dass sich diese Vorkommnisse ähneln? Wir haben verschiedene Tatorte, verschiedene Legenden, verschiedene Tötungsmethoden.«
»Außerdem sind sie alle getürkt.«
»Getürkte Legenden?« Nun wurde Kris munter.
»Natürlich nicht. Haben Sie noch immer nicht begriffen, dass Legenden in der Realität fußen?«
Hatte sie? Kris dachte an ihren Sturz in den Loch Ness zurück, an die Kälte, den Schlick …
Das Ungeheuer.
»Doch, vielleicht«, räumte sie ein.
Sie war nicht bereit, noch jemandem zu erzählen, was sie im See gesehen hatte. Sie hatte entsetzliche Angst gehabt, war dem Ertrinken nahe gewesen – keine Halluzination gehabt zu haben, wäre außergewöhnlich gewesen. Natürlich neigte Kris nun weniger dazu, Nessie als Fiktion abzutun, gleichzeitig würde sie sie auch nicht als Faktum akzeptieren. Nicht, solange sie die Kreatur nicht mit eigenen Augen sah, ob am helllichten Tag oder auch bei Mondschein. Trotzdem …
»Ich glaube nicht, dass Nessie dahintersteckt.«
Mandenauers Blick wurde fokussiert. »Warum nicht?«
Kris berichtete ihm, wie sie vor ihrem Haus und auf dem Felsvorsprung über dem Loch Ness attackiert worden war, und beendete ihre Ausführung mit: »Das letzte Opfer hatte ein Silbermesser in der Brust stecken. Warum vom Ertränken plötzlich zum Erstechen übergehen? Warum erstechen, wenn man ertränken kann? Außerdem verfügt Nessie nicht über die gegengreifenden Daumen, die erforderlich wären, um …« Kris vollführte eine zustechende Bewegung.
»Es sei denn, sie ist ein Gestaltwandler«, wandte Mandenauer ein. »Dann könnte sie menschliche Gestalt annehmen, die Waffe benutzen und sich zurückverwandeln in … welches Monster auch immer sie ist.«
»Ich dachte, Gestaltwandler könnten kein Silber berühren.«
»Auf die meisten trifft das zu. Aber manche können es.«
Na fabelhaft , dachte Kris.
»Es gibt da noch ein anderes Problem«, sagte sie, woraufhin der alte Mann die buschigen weißen Brauen hob. »Das Silbermesser, das in der Brust des letzten Opfers gefunden wurde …« Kris presste die Lippen zusammen, weil sie den Rest nicht sagen wollte, aber ihr blieb keine andere Wahl. »… war vermutlich meines.«
Seine Brauen sackten nach unten. »Wer immer für die Morde verantwortlich ist, weiß, dass Sie ihm nachspüren.«
»Das hat mir bereits gedämmert, als ich von der Klippe ins Wasser stürzte.«
»Sie folgern daraus, dass ein Mensch hinter den Übergriffen steckt?«
»Bei denen auf mich definitiv.« Menschliche Hände hatten ihr eins über den Schädel gezogen und versucht, sie in den Loch Ness zu zerren. Nessie konnte Kris nicht von der Klippe geschubst haben, wenn sie gleichzeitig darunter gewartet hatte, um sie aus dem Wasser zu ziehen.
»Was ist mit den Leichen?«
»Wenn eine Leiche auftaucht«, sagte Kris mit fester Stimme, »kann Nessie nichts damit zu tun haben.«
»Fahren Sie fort«, bat Mandenauer sie im Tonfall eines Professors, der sich einem neuen, sehr vielversprechenden Studenten gegenübersieht.
»Würde das Seeungeheuer Menschen töten, würde es dafür sorgen, dass sie am Grund des Loch Ness bleiben. Warum sollte es riskieren, dass man es
Weitere Kostenlose Bücher